BILDGALERIE

Ovomutus (Blindgänger)

Sonntag, der 16. August 2015. Die Reden zur Eröffnung der „Vorgebirgspark Skulptur 2015“ sind gehalten, das Publikum verteilt sich langsam in den vier Sondergärten, um sich die soeben angekündigten Kunstwerke anzuschauen. Dabei fallen dem einen oder anderen Besucher zwei Männer auf, die sich mit Spitzhacke und Schaufel im Baumgarten zu schaffen machen, jenem von hohen Linden umstandenen Teil des Parks, auf dessen offenem Gelände sich zwei grüne Drahtgitterbänke sowie drei fest installierte, betongraue Tischtennisplatten befinden. Vielleicht handelt es sich bei den beiden um Mitarbeiter des Grünflächenamts, die hier zu tun haben. Aber warum an einem Sonntagvormittag? Und was könnte es an diesem Ort während einer laufenden Kunstveranstaltung zu hacken und zu schaufeln geben? Wer die Männer bei ihrem rätselhaften Tun beobachtet und zusieht, wie das Loch im Boden immer tiefer und der Hügel des frischen Aushubs daneben zunehmend größer wird, begreift: die beiden Männer suchen etwas – und sie werden bald auch fündig. Denn plötzlich stößt die Schaufel auf Widerstand. Ein kleines Stück eines festen Gegenstandes wird sichtbar, der nun vorsichtig freigelegt werden will. Langsam kommt ein großes, graues, eiförmiges Objekt zum Vorschein. Vielleicht denkt mancher Besucher in diesem Moment besorgt an die vielen Funde von Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg, die Jahr für Jahr im Kölner Stadtgebiet gemacht werden. Aber nein, es handelt sich offenbar um ein Fossil, ein versteinertes Dinosaurierei. Leider ist gerade kein Paläontologe zur Stelle, der bei der genaueren Bestimmung behilflich sein könnte. Doch damit nicht genug: wo ein Ei ist, könnten sich ja vielleicht noch mehr finden. Und tatsächlich, nach weiterem Hacken und Graben tauchen nach und nach zwei große und acht kleinere Eier auf, ein veritables Dinosauriergelege. Jurassic Vorgebirgspark…

Der Bildhauer Gereon Krebber hat sich einen Kindertraum erfüllt. Denn wer hätte als Kind nicht davon geträumt, einen Schatz zu finden, eine von Piraten vergrabene Goldkiste etwa oder ein Dinosaurierskelett? Freilich scheiterten diese Pläne stets an den Grundsatzfragen: Wo soll man denn anfangen zu suchen? Woher die erforderliche Ausrüstung nehmen? Und so endete die Schatzgräberei immer schon, bevor sie begonnen hatte. Der kluge Künstler aber sorgt vor. Am frühen Morgen des 8. Juli 2015 hatte Gereon Krebber, mit der freundlichen Unterstützung des Amtes für Landschaftspflege und Grünflächen der Stadt Köln, das einen Bagger samt Baggerführer und zwei weiteren Helfern zur Verfügung stellte, ein Loch im Baumhof gegraben. In diesem wurden die zehn Eier sorgsam

deponiert und die Grube wieder zugeschüttet – eine Aktion, die manchen den Park durchquerenden Passanten sichtlich ins Grübeln brachte. Dass Gereon Krebber also sehr wohl wusste, wo er, zusammen mit seinem Assistenten Jan Lindner, fast sechs Wochen später zu graben hatte und was er dort finden würde, schmälert jedoch in keiner Weise die Faszination der Suche und das Glück des Findens – schon gar nicht für die Besucher der „Vorgebirgspark Skulptur“, die diese Schatzsuche hautnah miterleben können.Die Eier hat Krebber aus einem selbst entwickelten, unter anderem mit Zellstofffasern und Pigmenten angereicherten Spezialbeton gefertigt. Als Gussform für die kleineren Objekte dienten ihm handelsübliche Luftballons, die größeren Eier wurden aus Gründen der Gewichtsreduktion um einen Styroporkern herum modelliert. Mit ihrer fein strukturierten, von leichten Quetschfalten versehenen Außenhaut wirken die Objekte nicht gemacht, sondern wie in einem natürlichen Prozess von selbst entstanden.

Das Ei als skulpturales Motiv lässt sich übrigens kunsthistorisch bis hin zu Constantin Brancusis berühmten, stark abstrahierten Köpfen zurückverfolgen, vor allem zu seiner „Skulptur für Blinde“ von ca. 1920, die auf eine perfekte Ovalform reduziert ist. Der Untertitel dieser Arbeit ist „Der Anfang der Welt“. Bei Gereon Krebber wird das Ei als Form von jeder metaphysischen Symbolik befreit und in den Bereich des Biologischen zurückversetzt, dem es schließlich entstammt. Krebber ist als ein Bildhauer bekannt, der die Formensprachen der Klassischen Moderne, sowohl die geometrische als auch die biomorphe Abstraktion, aufgreift und mit viel Humor ganz neu aufbereitet und uminterpretiert. Dabei bedient er sich höchst unterschiedlicher, sowohl traditioneller wie auch ungebräuchlicher Materialien. Sein Spektrum an Werkstoffen reicht von Küchenfolie und Gelatine bis zu Bronze, von Schweineschwarte und verbranntem Holz bis hin zu purem Gold. In seiner Arbeit finden sich immer wieder Bezüge zu biologischen Formen und organischen Prozessen, zu Wachstum und Zerfall lebendiger Formen. Mit den „Sauriereiern“ im Vorgebirgspark nimmt Krebber diese Motivreihe auf originelle Weise auf und erweitert seine Arbeitsweise mit seiner in Echtzeit zu verfolgenden „Schatzsuche“ ins Performative.

Peter Lodermeyer

VITA

1973                  geboren in Oberhausen
1973                  lebt und arbeitet in Köln

2000 – 2002 Royal College of Art, London, MA Fine Art Sculpture
1995 – 2000 —  Kunstakademie Düsseldorf, Prof. Tony Cragg und Prof. Hubert Kiecol

Einzelausstellungen (Auswahl)
2015                  Limbic turn, Cindy Rucker Gallery, New York
2015                  Tagundnachtgleiche, alexanderlevy, Berlin
2013                  Hat da nicht gerade was gezuckt, Kunstmuseum Gelsenkirchen
2015                  hullühollo, alexanderlevy, Berlin
2015                  Ausrede wird nachgereicht, Keramikmuseum Westerwald
2015                  All the ifs and whens, Honigbrot Projektraum ads1a, Köln
2012                  Somatös, Galerie Christian Lethert, Köln
2015                  Home sweet home, Einraumhaus, Mannheim
2015                  Contrary data, Number 35/Cindy Rucker Gallery, New York
2011                  Subkutan präfrontal, alexanderlevy, Berlin
2015                  Comma #37, Bloomberg Space, London
2015                  Komm her wenn Du was willst, Kunstverein Kölnberg, Köln
2015                  Here today, gone tomorrow, Highlanes Gallery, Drogheda, Irland
2010                  Azurkomplex, Lehmbruck Museum, Duisburg
2015                  Alles fließt, manches hakt, Kunstverein Region Heinsberg
2009                  Sculpture on the roof, Crisp London Los Angeles, London
2015                  Let the pigs pay, Galerie Christian Lethert, Köln
2015                  Boards with bumps, Number 35, New York
2008                  Superliminal, Kunstverein Leverkusen
2015                  Wollte könnte sollte, Kunsthalle Bremerhaven
2015                  Gereon Krebber, Pawnshop Gallery, Los Angeles
2015                  Sorrysorrysosorry, Museum Goch
2015                  Frischzelle_08, Kunstmuseum Stuttgart
2015                  Droopy, Kunsthaus Essen

Gruppenausstellungen (Auswahl)
2014                  RuhrKunstSzene, Ruhrkunstmuseen, Museum DKM, Duisburg
2013                  Die Bildhauer. Kunstakademie Düsseldorf 1945 – heute,
2015                  Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20, Düsseldorf
2015                  WYSISYG, Kunstverein Bochum
2012                  Asche und Gold, MARTa Herford, Museum Schloß Moyland
2011                  Abstrakt /// Zeitgenössische Skulptur heute, Georg-Kolbe-Museum, Berlin
2010                  Der Westen leuchtet, Kunstmuseum Bonn

Preise (Auswahl)
2009                  Wilhelm-Lehmbruck-Stipendium, Duisburg
2015                  Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
2008                  Bremerhaven-Stipendium, Bremerhaven
2015                  Arbeitsstipendium Kunstfonds, Bonn
2007                  Kunstpreis Junger Westen, Recklinghausen
2015                  Bohne, Kunst am Bau Wettbewerb, Universität Köln

www.gereonkrebber.net