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Verwechslung

 Starke Motoren verbergen sich unter den silbern schillernden Hauben, die, rings um ein rechteckiges Wasserbecken verteilt, wie Kühe auf Rasen und Wegen grasen. Soviel sei schon jetzt verraten. Doch Tina Haase geht zunächst diskreter und indirekter mit dem Inhalt um, der den im Tageslicht glänzenden Kunststoffhüllen ihre spezifische Gestalt gibt. Vielmehr interessiert die Künstlerin an solcherart geformten Stoffgebilden, was sich ästhetisch in und auf ihnen an dynamischen Strukturen, Faltungen, Knitterungen und Draperien, an malerischen Farbeffekten, atmosphärischen Reflexionen, an plastisch sie umreißenden Licht- und Schattendialogen ereignet. Wie Findlinge aus einer jüngsten verflossenen Eiszeit stehen die seltsam weichsilbernen Objekte zerstreut in der Natur, ohne Regel und Ordnung und doch schweigsam miteinander kommunizierend. Natürlich ist das eine Vermutung, aber das zwölfteilige Kunstwerk provoziert die Annahme, die Imagination, die Assoziation. Denn der Mensch verlangt nach Erklärung für das, was er sieht. Wie kommen diese Gebilde hierher? Wer und was und wie sind sie? Wer oder was bewirkt ihre rätselhaften Konturen und Faltungen? Was ist da drin? Manch einer, der auch Schreibmaschinenhauben mühelos zuzuordnen weiß, erkennt sofort, wozu diese Hüllen dienen, was dort unter die typische Haube gekommen sein muss. Aber, ob das, was er vermutet oder mit Sicherheit weiß, sich wirklich unter diesen Silberhäuten verbirgt, ist nicht gewiss.

Über dieses Rätselraten, dem Pendeln zwischen Glauben und Wissen, dem abschätzenden Betrachten und Umschreiten dieser faltigen Formen, dem vergleichenden Schreiten von einem zum anderen, werden die zahlreichen ästhetischen Phänomene der metallisch schimmernden Stoffobjekte – an leere Phantome will ja keiner glauben –eingehender wahrgenommen, vielleicht sogar als Phänomene für sich als schön betrachtet. Der Betrachter wird mobil und aktiv in diese weidende Herde seltsamer „Tiere“ einbezogen, denn irgendwie vermitteln sie etwas Wesenhaftes, zumindest aber Wesentliches (aber von was?). Grasen Schafe so? Nein, die sind runder. Welches Tier ist kantiger, ist vorne höher und breiter, zeigt oben eckige Formen und läuft zum Heck schmaler und tiefer zu? Ja, wie kraftvolle Stiere sehen diese Silberhäute aus. Man will nachprüfen, was Bulliges sich darunter verbirgt, will die Hüllen lüften, will handgreiflich werden. Doch das ist bei einem Kunstwerk nicht gestattet. Wäre Spielverderberei. Auf die Ästhetik, auf das Erscheinungsbild kommt es an, dieses gilt es zu ergründen, mit Augen und Verstand, ohne Hand.

Aber, was soll noch diese Geheimniskrämerei? Alle haben doch oben unter den Werksangaben schon längst gelesen, dass sich Motorräder unter den Kunststoffhauben verbergen, die doch – das weiß jedes Kind – den Krafträdern zum Schutze dienen. Wer nun glaubt, aus dem weichen Geheimnis der silbernen Hauben sei die Luft entwichen, der irrt sich. Im Gegenteil: nun kommt die Komponente des harten Inhalts, den man nicht sieht, ins Spiel. Man erinnert sich an ein Motorrad, an die prallen Reifen und den hörnerartigen Lenker, an den breiten Tank und die chromblinkenden Auspuffrohren, an die Lampen und natürlich an das potente Geräusch seines starken Motors, das sich demjenigen Betrachter imaginär mit dem Brüllen eines vitalen Stieres verbindet, der vergisst, dass es sich hier nur um das Gaukelspiel von banalen Kunststoffhüllen handelt.

Tina Haase verbindet in ihren plastischen Werken farbige und weniger kolorierte Objekte des Alltags zu beeindruckenden Formationen, zu ornamentalen oder formminimalistischen Akkumulationen, Reihungen, Schichtungen und Stapelungen, zu dynamischen Verschlingungen, räumlichen Versperrun-gen, Verdichtungen oder Streuungen, zu skulpturalen Gestaltungen, in denen das Einzelelement sich in die Gesamtkomposition oder die Allgemeinstruktur einfügt und in der Gemeinsamkeit eine große Wirkung erzielt. Die verwendeten Objekte können banal wie Kleiderbügel, brauchbar wie Glühbirnen oder teuer wie wertvolle BMW-Motorräder sein. Ganz im Sinne von Marcel Duchamps „Ready mades“ erinnert uns Tina Haase mittels ihrer Kunst an die leicht übersehene Ästhetik des Alltagsobjekts und des technischen Produkts; dabei losgelöst von ihrer ursprünglichen Funktion. Die Künstlerin weiß um die Gefahr, dass, wer konzentriert inhaltlich denkt, die Form nicht mehr sieht. Verhüllt man den Inhalt, so erhält die Form höhere Bedeutung, sie wird zur plastischen Realität, der verborgenen Inhalt hingegen zum gedanklichen Erinnerungsbild oder zur phantastischen Vermutung. Es vollzieht sich auf diese Weise ein enormer kreativer Vorgang.

Trüben wir daher noch einmal unser Wissen um die Motorräder ein und konzentrieren wir uns mit lockerer Imaginationskraft auf die räumliche Betrachtung von Tina Haases Environment im Rosengarten des Vorgebirgsparks. Wir erblicken ein plastisches surreales Bild, quasi einen eingefrorenen Moment, der augenblicklich aus dem Zustand der Statik in den der Bewegung übergehen könnte. Technomorphe und muskulöse Gestalten scheinen in einer idyllischarkadischen Landschaft friedlich zu stehen und wir können uns unter sie mischen. Sie grasen auf der Weide chaotisch in einer „all-over“-Struktur, sie ignorieren die Ordnung der Garten-axialität und uns, sie widerspiegeln sich im Weiher, der hingegen klarer reflektiert als ihre metallisch matt glänzende Haut. Sie tragen Wertloses beeindruckend zur Schau und verbergen ihre wahren Werte. Sie kamen in den Vorgebirgspark und machten das Alltägliche zum Besonderen.

Gerhard Kolberg

 

Vita

1957—————-geboren in Köln

1980-87———-Kunstakademie Düsseldorf,

————————-Meisterschülerin bei Fritz Schwegler

————————-Lebt und arbeitet in Köln

Adresse

Wilhelmstraße 63                 Am Weidenbach 41

50733 Köln                            50676 Köln

Preise, Stipendien

1982—————-Akademiestipendium der Poensgenstiftung nach New York

1988—————-Projektstipendium Civitella D’Agliano, Italien

1989—————-Arbeitsstipendium des Kultus­ministers NRW

1992—————-Chargesheimer-Preis der Stadt Köln

1993—————-Preis Skulptur, Kunstverein Hürth

1993—————-Förderkoje Art Cologne

1994—————-Projektstipendium Museum Of Art, Birmingham, Alabama, USA

 Auswahl der letzten Einzelausstellungen (bis 2001)

1994—————-Industrial Skulpture (mit B. Werres und E. Haehnle), Museum Of Art, Birmingham, Alabama, USA

1994—————-Künstlerhaus Bregenz, Palais Thurn & Taxis, Bregenz, Österreich

1995—————-Salonstück 3, Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach

1996—————-Kunstverein Mannheim (mit K Hochstätter)

1991—————-IInEinAnder Städtisches Museum Schloß Salder, Salzgitter

1998—————-Kunstverein Köln rechtsrheinisch (mit B. Werres und K. Hochstätter)

1996/99———-Watertoren, Vlissingen, Niederl.

1999—————-Chez Schreurs (mit Werner Reiterer) Brüssel, Belgien

1999—————-Vanguardia Galeria De Arte (mit M. Berlanger und Grootjans) Bilbao Spanien

1999—————-Full House, Galerie Schneiderei Köln

2000—————-Der gute und der böse Blick, Galerie Ulrich Mueller, Köln

 2001—————-Streifenweise – Eine Interferenzinstal­lation, Kunstmuseum Heidenheim

2000—————Kariertgestreift‘, Galerie InSitu, Aalst, Belgien

Vertreten durch Galerie Ulrich Müller, Galerie Schneiderei, Galerie InSitu

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