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Kotau

  In bodenlange, aus dunklem Tuch bestehende Gewänder gehüllte Gestalten, auf den Köpfen aus dem gleichen Stoff gefertigte hohe spitze Hüte, besteigen gleichzeitig die vier sonst leeren Sockel des immergrünen Gartens im Vorgebirgspark, verharren dort einen Augenblick – und verbeugen sich dann synchron einmal, sehr tief, verbeugen sich, nicht wie es verschollene Manieren und altertümliche Höflichkeit gebieten, sondern höchste Achtung und verehrende Unterwerfung verlangen. Jeder der vier verbeugt sich in eine andere Richtung. Die spitzkegeligen Kopfbedeckungen betonen die präzise räumliche Ausrichtung des mysteriösen Tuns. Von höherer Warte aus gesehen würde der Winkel zwischen den sich Verneigenden als ein genau rechter erkennbar, zudem wäre aus solch idealer Perspektive die exakte Ausrichtung des Quartetts gemäß der vier Himmelsrichtungen leicht auszumachen, ebenso die subtilen Achsensprünge dieses Arrangements. Für bodenständige Augenzeugen ist es zumindest ein formell und feierlich wirkendes, kaum eine Minute andauerndes Agieren, wohl in jedem Detail einer peniblen Anweisung folgend, befremdlich und erstaunlich, tatsächlich oder nur scheinbar bedeutungsvoll, vielleicht die Parodie eines esoterischen Treibens, vielleicht aber auch etwas undurchschaubar Ernstes. Auch eine Inaugenscheinnahme der vier Protagonisten aus der Nähe gibt keine Auskunft, keinerlei Zeichen finden sich auf ihren Gewändern aus schwarz-grünem kariertem Stoff – im Fachhandel unter dem Namen „Black Watch“, Schwarze Wache, erhältlich; ein bezeichnender Name, der bestens zum Mahnenden, Beharrlich-Strengen, Aufseherhaften der vier passt. Im immergrünen Garten harmoniert dieser an schottischen Tartans orientierte Stoff dezent mit den dunklen Büschen und Hecken, funktioniert hier wie eine düstere Tarntracht, deren Schnitt den Stereotypen landläufiger Fantasyfantasien von Zauberern oder Priestern entspricht, aber auch an die Kleidung diverser frommer und unfrommer Geheim- , Sonder- und Ritualgesellschaften erinnert.

  Nach dieser Verbeugung steigen die vier Akteure herab von ihren Sockeln und verwandeln sich, bis sie wieder, ihrer Devotionsübung verpflichtet, auf den Postamenten stehen, in normale, wenn auch seltsam gekleidete Parkbesucher, schlendern umher, sitzen auf Bänken oder dem Rasen, plaudern, lesen oder dösen, essen, trinken und rauchen wie andere auch. Dann aber, einer ihnen gegebenen Ordnung gehorchend, eilen sie zu ihren Sockeln und es wiederholt sich – unabhängig von Zuschauern, der Witterung oder sonstigen äußeren Gegebenheiten – was der Ritus verlangt, einen Tag lang.

 Tobias Gerber hat dieses belebte Bild für den immergrünen Garten, die vier leeren Sockel dort erfunden. Dabei hat er auch die von einer gewissen Schwere und Düsternis geprägte besondere Atmosphäre dieses Parkteils berücksichtigt, die an Arnold Böcklins Bilder bedeutungsschwangerer heidnischer Rituale in heiligen Hainen und Auen erinnert und in Gerbers Kotau ein eigensinniges Echo findet.

  Schon aus der Vierzahl der sich Verbeugenden ließe sich zahlensymbolisch überreiches Bedeutungskapital schlagen, das durch den Titel der Arbeit – Kotau – noch gesteigert, aber von keinem Text erklärt, gar irgendeiner Metaphysik grundiert wird. Allein, es bleibt bei einer sich mit der Dauer der wiederholten, immergleichen Devotionsbezeugungen steigernde Irritation über Ernsthaftigkeit und Würde, die – zumal in einem der Erholung und Freizeit geweihten Park – peinlich, deplaziert, (unfreiwillig) komisch erscheinen können. Es bleibt bei einer Verunsicherung angesichts dieses erfundenen, synkretistischen Rituals, dass mit immensen Sinnprojektionsmöglichkeiten, vielfältigen Angeboten zur Bedeutungsaufladung auf- oder ausgeführt wird und dessen Zweck und Zusammenhang zugleich völlig im Dunkeln bleibt und keine erlösende Aufklärung erfahren wird, stattdessen aber eine Offenheit und Melancholie entstehen lässt, die es auszuhalten gilt.

  Jens Peter Koerver

 

Vita

  1961——————–in Düsseldorf geboren

 1970-80 —————Zeichenunterricht durch den Vater

  Preise, Stipendien

  1998 ——————–Villa-Romana-Preis, Florenz,

—————————Förderung durch Stiftung Kunstfonds e.V., Bonn

 —————————Arbeitsstipendium Etaneno, Namibia

Einzelausstellungen

  2006——————–McBride Fine Art, Antwerpen, Witte Weduwen

 2001——————–Pavillon, Schloß Molsberg, Sigi (Katalog)

 2000 ——————-Bonner Kunstverein, Stars and Stripes I (Katalog)

 1998 ——————–Goethe-Institut Rotterdam, T..T…Tekeningen

 1995——————– Schiper und Krome, Köln, White Noise (zusammen mit Karl Holmqvist)

  Ausstellungsbeteiligungen

  2008——————-Galerie Maurits van de Laar, Den Haag, Marcel van Eeden, Tobias Gerber, Leo Kogan, Elmar Trenkwalder,Dick Tuinder

 Kunsthalle Düsseldorf, Parkhaus

 2002——————-Museum Dr. Guislain, Gent, Tweeling

 2000——————–Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf,

 Kabinett der Zeichnung, eine Ausstellung des Kunstfonds (Katalog) Bluecoat Gallery, Liverpool, Boris Becker, Tobias Gerber, Thomas Rentmeister, Alexandra Sell, Iskender Yediler

 1998——————–Musee Ianchelevici, La Louviere, Belgien, Sorti du Labyrinthe (Katalog)

 1997——————–Cubitt, London, Shift

 1996——————–Centrum Beeldende Kunst, Rotterdam, Sorti du Labyrinthe (Katalog) Stadtgalerie Kiel, Köln zur Zeit: 12 Positionen (Katalog)

 1995——————–Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, Scharfer Blick, Der Deutsche Künstlerbund in Bonn (Katalog)

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