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Gehörgang

 Claus Bury macht vor allem als Schöpfer begehbarer architektonischer Holzskulpturen auf sich aufmerksam. Zusätzlich fanden in jüngerer Zeit aber ebenso seine formminimalistischen Metall­plastiken und phantasievoll konstruierten Brücken große Beachtung. Häufig sind Burys Architekturskulpturen nach historischen Harmonieregeln gebaut, zum Beispiel nach denen von Leonardo Fibonacci (etwa 1180 – 1250) oder Le Corbusier (1887 – 1967). Dementsprechend zeigen sich seine skulpturalen Bauten proportional dem menschlichen Maß verpflichtet. Zudem beziehen sie den Menschen physisch und aktiv in ihre Gestaltung und Funktion mit ein. Konzeptionell auf einen bestimmten urbanen oder landschaftlichen Raum ausgerichtet, lenken Claus Burys Skulpturen nicht nur Augen und weitere Sinne auf das Charakteristische ihres jeweiligen Standortes, sondern sie reflektieren dessen Umfeld auch gestalterisch und stimulieren des Betrachters sinnliche Raum-Körper-Interaktion.

Bezugnehmend auf die stimmungsvolle Gartensituation in dem 1911 von dem renommierten Kölner Gartenarchitekten Fritz Encke angelegten Vorgebirgspark, entwarf Claus Bury seine 36 Meter lange Holzskulptur „Gehörgang.“ Sie besteht aus zwei scheinbar identischen und leicht diagonal versetzt aufeinander folgenden Tunnelgängen. Diese nehmen im peristylartigen „Baumhof“ der Gartenanlage einen axial verlaufenden Parkweg auf, der durch Heckenöffnungen in be­nachbarte Gartenräume fluchtet. Die Höhe des „Gehörgangs“ entspricht derjenigen erwähnter Hecken, seine Länge der des Rasenkarrees, das vom Gartenweg und dem auf ihm stehenden Kunstwerk durchquert wird.

Vom Straßeneingang der Gartenanlage aus, vor dem Hintergrund einer Baumreihe gesehen, erscheint die skulpturale Architektur noch als geradliniges und rhythmisch geordnetes Einzelobjekt. Wenige Schritte nur machen ihre Zweiteiligkeit sichtbar und aus der Nähe gesehen die meisterlich von Kölner Zimmerleuten ausgeführte Bauweise zum ästhetischen Erlebnis. Im Betrachter werden Erinnerungen an rundbogige Rosenspaliere (wie die im benachbarten „Rosengarten“), an urbane Laubengänge oder an die charakteri­stische Ständer- und Fachwerkkonstruktionen historischer, überdachter Brückenbauten geweckt, wiewohl dem Kunstwerk ohnehin konzeptionell ein Raum überbrückender Sinn immanent ist.

Beim Durchschreiten der relativ schmalen, im oberen Bereich wie ein orientalischer Architekturbogen sich kreisrund weitenden Gänge – die den Passanten ab Schulterhöhe als beplankte Tunnel­wölbungen umschließen, aber bis Hüfthöhe eine transparente Balkenkonstruktion aufweisen -wird der seitlich abgeschirmte Blick nach vorne gelenkt. Ein zielgerichtetes Sehen wird angeregt, doch nicht das Fokussieren einer Optik, sondern unsere Schritte bringen uns durch das begehbare „Teleskop“ dem erspähten Ausschnitt der Topographie näher. Zudem steigert der Künstler die ästhetische Rezeption und sinnliche Raumerfahrung mittels einer Orientierungsirritation: Beide Skulpturenelemente behaupten nämlich ihre räumlich-gestalterische Eigenständigkeit gegenüber der vorgefundenen Gartenaxialität durch ihre diagonale Positionierung auf dem 2,40 Meter breiten Parkweg. Jeweils auf der Wegmitte beginnend bzw. endend, treffen die Tunnelstege in der Skulpturenmitte auf verschiedene Wegseiten. An dieser Nahtstelle verbindet sie ein nicht überdachter Quersteg. Hier sieht der Passant eines Tunnelganges den Himmel und den Umraum wieder, hier kann er sich orientieren, sich auf das Erlebte besinnen und erneut, nun in den zweiten „Gehörgang“ sinnlich eintauchen. Claus Burys Kunstwerk bietet dem Parkbesucher Ansicht, Einsicht, Durchsicht und Aussicht. Wenngleich gestalterisch an der moderaten Gartenaxialität orientiert, so geht es mit einem, auch auf das Erleben des Parkbesuchers zu übertragenden „Selbstbewusstsein“ eigene Wege.

Entsprechend der jeweiligen Schrägpositionierung beider Bogengänge auf dem Parkweg entfaltet sich deren rhythmisch gereihte Ständer- und Stützwerkarchitektur in gleichmäßiger Progression von fast senkrechter bis hin zu weit ausladender Balkenstellung. Ein kinetischer Effekt entsteht – besonders bei Schatten werfender Sonneneinstrahlung. Man fühlt sich an einen beidseitigen aber gegenläufig geführten Ruderschlag einer antiken Galeere (oder an die Bewegung eines Tausendfüßlers) erinnert, wiewohl die Konstruktion aus gliedernden Spanten und dynamischhorizontaler Lattenbeplankung ohnehin der des Bootsbaus gleicht. Andererseits klingt in der bis an die Wegesränder auslagernden Balkenkonstruktion auch die baustatisch bedingte Verwandtschaft zum Strebepfeilersystem gotischer Kathedralen an – als äußerliche Spiegelung der konstruktiven Pfeilerrhythmik des diaphanen Innenraums, den die Natur verherrlichenden deutschen Romantiker mit einem „Wald“, besser mit einer laubüberdachten Baumallee verglichen.

Die Assoziation von gotischer Architektur legt denn auch den Vergleich des „Gehörgangs“ mit einem – hier formminimalistischen – Kreuzgang mit Gewölben und Säulenreihen nahe, mit einem Ort also, an dem man besinnlich wandeln, meditieren und sich orientieren kann. Visuell abgeschirmt von der Außenwelt durch die perspektivisch in die Raumtiefe fluchtende Beplankung der schattigen Rundgewölbe, in denen sich zuweilen – reflektiert vom Laufsteg – das Sonnenlicht im rötlich schimmernden Holze „impressionistisch“ bricht, ist der Mensch während seiner Passage quasi auf sämtliche fünf Sinne angewiesen. Vor allem das Gehör wird sensibilisiert, um über die Kompensation des beschränkten Gesichtssinns nicht die Verbindung zur Umwelt zu verlieren. Bewusster wird beim lauschenden Gehen auch der Schritt, der in der Wölbung widerhallt und vielsinnig das architektonische Kunstwerk zum „Gehörgang“ macht.

Gerhard Kolberg

VITA

1946—————geboren in Meerholz/Gelnhausen

 1965-69———-Studium an der Kunst- und Werkschule Pforzheim

———————–(jetzt Hochschule für Gestaltung, Technik und Wissenschaft)

1969-70———-Studienaufenthalt in London

1976—————Stipendium des Kulturkreises im Bundesverband

————————der Deutschen Industrie \

1979—————Auf Einladung des Goethe Instituts Reise nach Australien

1980-84———-Aufenthalt in Providence, Rhode Island, USA

1985—————Stipendium Casa Baldi, Olevano Romano, Italien

1985—————August Seeling Förderpreis des Förderkreises des Wilhelm-Lehmbruck-Museums e.V., Duisburg

1986—————Stipendium des Kunstfonds e.V., Bonn

1990—————Stipendium Skulpturenpark Am Seestern, Düsseldorf

1990—————Stipendium Skulpturenpark Schloß Phillippsruhe, Hanau

1990—————Kunstförderpreis „Stadtbildhauer der Stadt Hanau“

1996—————Projektförderung durch die Hessische Kulturstiftung

seit 1997——–Professor für „Grundlagen der Gestaltung“,

———————–Fachbereich 10, Architektur, an der Bergischen Universität/ Gesamthochschule Wuppertal

Skulpturen im öffentlichen Raum (Auswahl bis 2000):

1979—————Wave Sculpture, Palm Beach, Sydney, Australien

1980—————Wind Sculpture, Barrington, Rhode Island, U.S.A.

1980—————Spiral Sculpture, Sakonnet, Rhode Island, U.S.A.

1983—————Bridge Project, Madison Square Park, New York, N.Y., U.S.A.

1984—————Fibonaccis Tempel, Museum Ludwig, Köln

1986—————Mercator, Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg

1987—————Haus des Hasselbacher Reiters, Im Tal, Hasselbach

1989—————Im Goldenen Schnitt, Konstabler Wache, Frankfurt

1989—————Der Augenblick, Kunstverein Neuenkirchen

1989—————Engpass, Skulpturenpark Hanau

1989—————Turmtor Friedrichsberg, Landesgartenschau, Pforzheim

1992—————Am Kreuzungsbogen, Intern. Gartenbauausstellung,

——————–Stuttgart

1993—————Im Turmblick, Skulpturenprojekt Gotha

1995—————Torbogen Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt

1995—————Wir sitzen alle in einem Boot, Gelnhausen

1996—————Zentrifugal-Horizontal, Zentrifugal-Vertikal,

———–Flughafen Köln-Wahn

1996—————Pendulum, Frankfurter Bürocenter

1997—————Radiale Schwingung, Hochschule für Verwaltungs-

———————-wissenschaften, Speyer

1998—————Konstante Bewegung, Fachhochschule Koblenz

1999—————Blick zum Gipfel, Blick zum Wipfel, Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt

2000—————Hessenpyramiden, Expo 2000, Hannover

2000—————Gehörgang, Vorgebirgspark, Köln

Adresse

 Vilbeler Landstraße 36

60386 Frankfurt

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