Bukolische Photismen
Bettina Grubers Kunstwerke treffen oft den Nerv des Hintergründigen, das sich im Märchenhaften verbirgt. Auf einem stillen Wiesengrund im Vorgebirgspark inszenierte sie folgende Szene wie aus einem Bilderbuch mit plastisch ausklappbaren Illustrationen und lässt für einen Tag Wirklichkeit und Einbildung zu einem surrealen Kunstwerk verschmelzen.
Ein wachsamer Schäfer mit breitkrempigem Hut und professionellem Hirtenstab kam der Einladung der Kölner Künstlerin freundlicherweise nach und lässt ausgewählte Schafe seiner Herde friedlich auf besagter Wiese weiden. Der Anblick weckt Bilder von pittoresken pastoralen Idyllen, ebenso Erinnerungen an Märchen aus Kindertagen. Das „Rotkäppchen“ von den Gebrüdern Grimm und Rimskij-Korssakows Musik „Peter und der Wolf kommen in den Sinn. Der Wolf gilt immer ab der „Böse“. Doch lässt ihn Bettina Gruber in die bestellte arkadische Schäferromantik nur als Illusion einbrechen, quasi als „Bild“ unserer archaischen Triebe und Ängste, die den Wolf dämonisieren, weil er einst ein Nahrungskonkurrent war und als latente Gefahr für die domestizierten Tiere betrachtet wird.
Auf ein geschlossenes Rund aus weißen Tüchern, wie beiläufig von der Rasenbleiche aufgehoben, projiziert die Künstlerin Schattenbilder, die im Inneren des Tücherkreises mittels einer Drehmechanik in Gang gehalten werden. Diese rustikale Konstruktion einer Art „Laterna magica“ ist zum Betrachter durch den Weidegrund der Herde getrennt. Mehrere Wölfe und ein Gespenst, alle verborgen im Gestrüpp, treten inmitten der grasenden Schäfchen nicht nur als immaterielle Silhouetten in Erscheinung, sondern die wandernde Projektion deformiert sie auch unheimlich; entsprechend den verzerrten Vorstellungen des Menschen von diesem Tier und Urahn seines „besten Freundes“. Bewusst offeriert uns die Künstlerin die Frage, wer gefährlicher für die Natur ist: der Wolf oder das menschliche Gespenst? Sind die Gräuelmärchen vom Untier nicht eher eine Metapher für menschliches Verhalten?
Besonders die Lämmchen unter den wolligen Nutztieren werden seitens des Publikums zu Sympathieträgern werden. Und nur die nüchtern denkenden Menschen ordnen diese Symbole der Unschuld, darin eher dem Wolfe gleichend, in die Nahrungskette ein. Der Wolf im Schafspelz streicht also auch auf zwei Beinen um das bühnenartig präsentierte Schäfchenidyll im Vorgebirgspark! Deshalb darf der Schäfer nicht der Wirkung des einschläfernden „Schäfchenzählens“ zum Opfer fallen, sondern wachsam eher des Liedes gedenken, das da heißt: „Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet von der ganzen großen Schar.“
Paradiesische Zustände haben in der Natur niemals geherrscht. Nun, wo wir sie durch uns bedroht sehen, wir sie in der Not zum bewahrenswerten Kulturraum erklären, erträumen wir uns arkadische Gefilde und legen künstliche „Wildparks“ an, die zur „Arche Noah“ bedrohter Arten und zu zoologischen „Disneylands“ mutieren. Wer schützt denn nun das Schaf? Etwa der Wolf und der Mensch? Denn auch der Schäfer, der seine Schäfchen weidet, ist einer und lässt keines frei. Sind also nur Schafe den Schafen sympathisch und vertrauenswürdig? Ein britisches Forscherteam, so berichtete jüngst ein deutsches Wochenmagazin, fand heraus, dass allein Fotos mit Schafsgesichtern bei den Schafen beruhigende und positive Gefühle auslösten. Das lässt den Schluss zu, dass selbst ein fotogenes Wolfsporträt die Schafe kalt lässt, weil es ihn nur im Märchen gibt und ein Bild nicht zubeißen kann. Das weiß sogar ein Schaf. Oder was meinen Sie, lieber Wolf im Schafspelz mit dem menschlichen Gesicht, der vielleicht gerade ein Lämmchen streichelt?
Gerhard Kolberg
Vita
Lebt und arbeitet in Köln
Publikationen und Einzelkataloge (Auswahl bis 2004))
-„Kunst und Video“, DuMont Buchverlag Köln, 1983 (Coautorin M. Vedder)
-„Videotechnik“, DuMont Buchverlag, Köln 1983 (Coautorin M. Vedder) Skulpturenmuseum Glaskasten, Marl 1989
-„Sinn und Trost“, Bozen 1990
-„Kusamakura“, Kunstraum Düsseldorf 1994
-„TagDämmerungNacht“, Rheinisches Landesmuseum, Bonn 1998
-„Ephemerien“, Museum Ludwig, Köln 2000
Einzelausstellungen (Auswahl)
1977———-Baackscher Kunstraum, Köln
1977————Mainzer Kunstverein
1981————Arthotek, Köln
1989————SkuLpturenmuseum Glaskasten, Marl
1989———— „Der bedingte Blick“, Museum Ludwig, Köln
——————- „Sinn und Trost“, Museumsgalerie, Bozen
1989————Galerie Maximilian Krips, Köln Kijkhuis, Den Haag, Holland
1989————Galerie Henn, Maastricht/Holland
1989———— „Dreilicht“, Fuhrwerkswaage, Köln
1989———— „Die vielfache Wurzel des Grundes“, Moltkerei Werkstatt, Köln
——————– „Kusamakura“, Kunstraum Düsseldorf
——————–Goethe Institut Hongkong
1998———— „TagDämmerungNacht“, Rheinisches Landesmuseum, Bonn
2000———— „Ephemerien“, Museum Ludwig, Köln
Werke in öffentlichen Sammlungen
Museum Ludwig, Köln
Skulpturenmuseum Glaskasten Marl
Täte Gallery Liverpool
Kunst- und Kulturzentrum et Huset, Kopenhagen/Dänemark
ArtCom, San Francisco
Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart
Kijkhuis, Den Haag
Fujiko Nakaya, Video Gallery Scan, Tokio
Neuer Berliner Kunstverein
Liechtensteinische Staatliche Kunstsammlung
SK Stiftung, Köln
Diözesanmuseum, Köln