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Der Henkerstrick im Hain

Paul Isenrath ist ein Künstler der genauen Orte: Er markiert und justiert Orte. Er bringt sie auf den Punkt. In den siebziger Jahren streute er Schlagspuren leichtfüßig über Eisenplatten und bestimmte so jede Spur als Ort. Damals notierte er auf der Rückseite einer Fotografie: wesentlich sei das „Hier und Jetzt – davon handelt die Skulptur“. Seit zehn Jahren weitet er seine Ortsbestimmungen ins Globale aus. Er berechnet rund um die Erde antipodische Punkte, die er fotografisch dokumentiert: ein äußerstes an exakter Verortung der Welt.

Zugleich ist Isenrath Angler. Er wirft die Angel aus, überlässt sie der Gra­vitation und besetzt einen flüchtigen Ort. Am Ende der Angel lauert der kalte Fischtod. Ich will das nicht strapazieren, doch erinnert die Art, wie im Vorgebirgspark ein Seil von einem weit vorkragenden Ast abhängt, nicht an eine monumentale Angelschnur, mit einer Schlaufe, wo sonst ein Haken sitzt?

Isenrath hat lange überlegt, wie er auf das weitläufige Parkgelände reagiert. Früher hätte er das Areal vermutlich „hier und da“ mit einzelnen Markierungen akzentuiert. Jetzt sucht er den EINEN gewichtigen Ort. Er findet ihn, 250 Meter vom Eingang entfernt, in einer Baumgruppe, deren Laubwerk wie ein Gewölbe zusammenwächst – ein Hain mit Blätterdach, ein „fast kapellenartiger Raum“ (Isenrath) von sakraler Anmutung. Mittig lässt Isenrath, von einem weit ausladenden Ast, aus zwölf Metern Höhe, ein mächtiges Tau hängen. Das untere Ende verschlingt sich zu einem Ring. Ein Ort wird aus dem Raum gestanzt und, durch Gravitation, in Richtung Erdmittelpunkt orientiert. So weit der Zusammenhang mit dem älteren Werk.

Wozu aber der überdimensionierte und dadurch weniger real als symbolisch wirkende Henkersstrick? Isenrath war in seinem Werk nie narrativ oder anekdotisch und schon gar nicht morbid. Seine Kunst definiert sich aus Formbeziehungen, kaum aus der emotionalen Sensation. Im Vorgebirgspark könnte man indes meinen Isenrath ruft eine alte Richtstätte oder einen Fall von Suizid wach. Doch es gab an dieser Stelle zu keiner Zeit einen Galgenberg. Auch Überlieferung und Sage bleiben stumm. Alle historischen Anlehnungen gehen ins Leere. Wie lässt sich der Galgenstrick deuten und verstehen?

Ich gehe einen Umweg und erinnere mich an eine andere Verbindung von Tötungsvorrichtung und Park. Im Kassel hatte der schottische Künstler Jan Hamilton Finley 1987 zur documenta 8 im Auepark vier Guillotinen hintereinander gereiht. Heute stehen die Apparate im ehemals berühmten Garten hinter dem Düsseldorfer „Malkasten“. Auch hier keinerlei Bezug zu irgendeinem justiziären oder suizidalen Akt. Stattdessen knüpfte Finlay die Kombination explizit an eine ästhetische Kategorie des 18. Jahrhunderts: jene Idee des „Erhabenen“, in dem das „Naturschöne“ – der Park – mit dem „Schrecken“ verschmilzt. Beispiele: das übermächtige Hochgebirge; die arktische Eiswüste, ein Vulkanaus­bruch. In der Modellnatur des Parks werden daraus bedrohlich stürzende Kaskaden oder künstlich feuerspeiende Berge neben der Idylle von Wald und See. Kant erkennt „in der Natur; als Gegenstand der Furcht betrachtet“, den Inbegriff des „Erhabenen“. Ich vereinfache das über Gebühr.

Schafft Isenrath ein verwandtes Nebeneinander von Parknatur und Gefahr? Ist die Zusammenstellung von Hain, in dem das „Naturschöne“ gipfelt, und Henkersstrick, der (wie die Guillotinen) Furcht und Schrecken symbolisiert, eine konzentrierte Anspielung im Sinne von Kant?

Gleichzeitig sucht das beginnende 21. Jahrhundert aber auch die Distanz. Am Parkeingang steht auf einer Tafel der Titel: ‚Zeitvertreib‘. Das konzise Zitat des „Erhabenen“ wird zur ambivalenten Pointe, die Kants „übersinnliches Substrat aus Schönheit und Grausen“ ironisch unterläuft.

Manfred Schneckenburger

 Vita

1936—————-geboren in Mönchengladbach

1971-2001———Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie Münster

———————- lebt in Düsseldorf und in Le Nayrac, (F)

Adresse

Route d ´Estaing

F 12190 Nayrac

Frankreich

Einzelausstellungen (Auswahl ab 1990  bis 2001 )

1990—————Galerie im Kornhaus, Ulm

1992—————-Input – Output‘, direkte Plastik,

———————-Fuhrwerkswaage Köln

1993—————-Antipodische Wasserspiegel‘,

———————-Westf. Landesmuseum Münster Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf

——————–

1994—————-Raum 1, Düsseldorf

1994—————-Zwischen Blech und Wasser‘,Museum Goch

1997————– – „Das passive Element“ Kunstverein Lippstadt
———————-– ‚Eine Art despotischer Wille‘,Kunstverein Ahlen

———————-– ‚Feststellung‘, Stadt. Galerie Lünen

———————- ‚alles-nichts‘, Raum für Kunst, Steffen Missmahl, Köln

1999—————-Retrospektive‘, Haus der Kunst, Köln

Gruppenausstellungen (Auswahl bis 2001)

1968 —————junge Deutsche Plastik‘, Wilhelm-Lehmbruck-Museum Duisburg

1977—————-documenta 6, Kassel

1986                 ‚Nur Rost?‘,Skulpturenmuseum Marl

1992—————-Intern, Skulpturenprojekt, Gotha

1992—————-Kunst im Weltmaßstab‘, Kunsthalle Kiel

1995—————-Skapelser‘, Götene, Lidköping, Mariestad, Skara, Schweden

1996—————-Verborgene Schätze‘, Westf. Landesmuseum Münster

2000—————-Beyond the circle‘, Moran Museum of Art, Ma-Suk, Korea

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