BILDGALERIE

"Zielübung / target practice"

Ein ungewohnter Anblick: Mitten im langgestreckten Teichrosenbecken des Vorgebirgsparks schwimmen zwei Paddelboote. Zwei junge Kajakfahrerinnen wenden einander den Rücken zu, ihre Boote bilden – Heck an Heck, in geringem Abstand zueinander positioniert – eine gerade Linie in der Längsachse des Beckens. Gleich wird es losgehen und die Kajaks werden losstürmen, denkt man als Parkbesucher, und wartet… und wartet… – vergebens. Ganze sieben Stunden lang, über die gesamte Ausstellungsdauer der Vorgebirgspark Skulptur hinweg, werden die beiden Paddelboote in ihrer Startstellung verharren, die keine ist, weil es keinen Start geben wird, keine Aktion, keinen sportlichen Wettkampf. Wie sollte der auch aussehen? Zwar ist das Becken so groß, dass die immerhin je 5,35 Meter langen Boote darin fast ein wenig miniaturhaft wirken, doch ist es bei Weitem zu klein, als dass die beiden Wassersportlerinnen Fahrt aufnehmen könnten. Einige wenige Paddelschläge, und schon würden die Boote an den Beckenrand stoßen. Das Bassin im Park ist schlicht ungeeignet für Kajaks; deren Präsenz in diesem Gewässer wirkt reichlich absurd und irreal. Absurdität ist für die in Köln lebende Künstlerin Iris Hoppe, die Autorin dieser Kajak-Performance, ein unabdingbares Moment ihrer Arbeit für die Vorgebirgspark Skulptur. Kennern des Paddelsports erscheint die Absurdität sogar noch größer, weil sie erkennen, dass es sich bei den Booten um langstreckentaugliche Seekajaks handelt, die mit ihrem abgeflachten Oberschiff perfekt für den Wellengang im Meer ausgestattet sind. Die Wassertiefe im Bassin beträgt übrigens kaum 50 Zentimeter.

Wenn Iris Hoppe über ihre Performance redet, spricht sie oft von dem „Bild“, das sie mit ihr realisieren möchte. In der Tat hat man als Betrachter das Gefühl, auf ein riesiges, horizontal am Boden ausgebreitetes Bild zu schauen. Zu diesem Eindruck trägt die strenge Symmetrie in der Anordnung der beiden Boote bei, ebenso der aus breiten Steinplatten bestehende Rand des Beckens, der das Geschehen wie ein übergroßer Bilderrahmen einfasst. Der bildhafte Charakter der Performance ergibt sich aber insbesondere aus der Stillstellung jeglicher Aktion. Der performative Part beschränkt sich für die Kajakfahrerinnen im Wesentlichen darauf, mit minimalen Paddelbewegungen dafür zu sorgen, dass sich ihre Fahrzeuge möglichst genau in der Symmetrieachse des Beckens halten. Den Titel „Zielübung / target practice“ kann man sich mithin so erklären, dass es für die beiden Performerinnen primär darauf ankommt, mit dem Bootsbug stets den Punkt der mittleren Beckenbreite anzuvisieren.

Man könnte die Arbeit von Iris Hoppe vielleicht als eine zeitgenössische Version des Tableau vivant bezeichnen, jener eigentümlichen Kunstgattung, die sich im 18. und frühen 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. Die Idee des Tableau vivant bestand darin, mit einer bestimmten Zahl von Personen

bekannte Werke der Malerei oder Skulptur nachzustellen, in dieser Position eine Weile regungslos zu verharren und so zum Bild zu werden. Das „lebende Bild“ der zwei Kajakfahrerinnen im Parkbecken gewinnt aufgrund seiner Farbenfreude einen beinahe malerischen Charakter. Das eine Kajak weist ein leuchtend gelbes Ober- und ein mitteblaues Unterschiff auf, bei dem zweiten verhält es sich genau umgekehrt. Die schmale Trennlinie zwischen Ober- und Unterschiff ist jeweils in sattem Rot gehalten, genau wie die Doppelpaddel, mit denen die jungen Frauen die Position ihrer Boote justieren. Die Fahrerin des ersten Kajaks trägt einen schwarzen Ganzkörper-Schwimmanzug mit blauem, die andere einen mit gelbem Streifen. Mit Gelb, Blau und Rot kommen die drei Primärfarben zum Einsatz und bilden einen kräftigen Kontrast zu den im Park vorherrschenden Grüntönen.

Iris Hoppe begnügt sich nicht mit dem Erzeugen eines farbstarken Bildes, sie unterlegt es noch mit einer Klangschicht, die sie über einen Lautsprecher abspielt, was eine eigentümliche akustische Atmosphäre erzeugt. Das Rohmaterial für diese Soundkomponente entnahm die Künstlerin einer Meditations-CD für Leistungssportler. Begleitet von äußert schlichter Hintergrundmusik ist eine suggestive Männerstimme zu hören, die Sätze sagt wie: „Sie möchten Ihre sportliche Leistungsfähigkeit steigern, indem Sie Ihre mentalen Kräfte aktivieren”, oder: „Im entscheidenden Augenblick sind Sie ganz konzentriert, dynamisch, stark und erfolgreich.“ Eine sanfte Flüsterstimme assistiert: „Du wirst im entscheidenden Augenblick all deine Kraftreserven mobilisieren und all deine Fähigkeiten ganz konzentriert ausspielen. Du weißt, was du kannst.“ Diese zur Autosuggestion bestimmten Parolen wirken angesichts der Inaktivität der Kajakfahrerinnen im Parkbecken vollkommen deplatziert. Iris Hoppe nimmt hier die in fast allen Lebensbereichen um sich greifende Konkurrenzmentalität und die Sucht nach Leistungssteigerung und Selbstoptimierung aufs Korn.

Wer möchte, kann hier auch eine kritische Metapher des heutigen Kunstbetriebs vermuten, der sich immer mehr den Prinzipien von ökonomischem Erfolg, von Produktions- und Wertsteigerung verschrieben hat.

Iris Hoppe setzt diesem Trend mit „Zielübung / target practice“ ein starkes performatives Bild von absurder Schönheit entgegen.

– Peter Lodermeyer –

VITA

1970 geboren in Solingen, lebt und arbeitet in Köln

1992 – 1996 Studium Autonom Bildende Kunst, Gerrit Rietveld Academie, Amsterdam

1992 – 2005 Wohnsitz in Amsterdam

 

Stipendien (Auswahl)

2017 Projektstipendium, Kultursekretariat NRW Gütersloh

2015 Residenzstipendium, Künstlerdorf Schöppingen

2011 Projektförderung, Landeszentrale für politische Bildung NRW

2009 Förderung Forschungsaufenthalt Urbanfestival, Goethe Institut Zagreb

2008 Nominierung Landesförderpreis für Medienkunst, Staatskanzlei Düsseldorf

2004 Arbeitsstipendium, The Netherlands Foundation for Visual Arts, Design and Architecture, seit 2002

2001 Projektstipendium, Amsterdam Foundation for Arts

1999 Projektstipendium, Rotterdam Art Foundation

Einzelausstellungenn und Interventionen im Öffentlichen Raum (Auswahl)

2017 #pssst, Performance im öffentlichen Raum, Stadtbesetzungen II – Körperkunst, Monheim am Rhein

2009 Performativer Werkvortrag, partizipative Strategien im öffentlichen Raum,

Galerija Miroslav Kraljevic, Zagreb

2008 Grenzmarkierungen-Köln, Plakatkampagne auf 25 Großwerbeflächen, Stadtraum Köln

Der Paradiesapfel, In-Situ Installationen und Performances, Lutherkirche, Köln

2002 Meeting Point, Videoprojekt auf Bahninform-Großbildschirmen, simultan in 26 Bahnhöfen

Deutschlands, DB AG

1999 Inside Out, partizipativ-audiovisuelle Installation, Gil & Moti Homegallery, Rotterdam

Gruppenausstellungen (Auswahl)

2018 Vorgebirgspark Skulptur, IG Kunst im Park, Köln

statements Köln, partizipatorische Projekte, Artothek Köln

2017 Heimat Variationen, Lutherkirche, Köln

2015 Video Box – Über Grenzen, Stiftung imai, Haus der Universität, Düsseldorf

2011 Gewalt.Frei, partizipatives Ausstellungsprojekt, Kunstverein Leverkusen e.V.

2009 (in) place of border, Urbanfestival, BLOK, Zagreb

2008 Plan08, Forum aktueller Architektur in Köln

Art Cologne, Sonderausstellung inter media art institute, Köln

2006 Crossing the screen, Stiftung imai, NRW-Forum, Düsseldorf

2005 Urban screens, Stedelijk Museum, Amsterdam

2004 Video as urban condition, Austrian Cultural Forum, London

Grenzgänger/Grenzzieher, performative Medieninstallation in Kooperation mit Olaf Hirschberg,

Warteraum Gleis 1, Hauptbahnhof Köln

2003 [ve] 01 border counter, Utopia Station, Arsenale, Biennale di Venezia

Thailand First New Media Art Festival, CMU Art Museum, Chiang Mai

Rencontres Internationales, Ecole nationale supérieure d. beaux-arts, Paris

2001 0. (Nullpunkt), intermedia Performance, Paradiso, Amsterdam

2000 360° Köln, Die Wandelhalle, Colonius Hochhaus, Köln

www.irishoppe.com

Mit besonderem Dank an die Performerinnen Carla Lauermann und Jule Rollmann