Die „Ordnungsbehördliche Verordnung über die öffentliche Sicherheit und Ordnung für das Gebiet der Stadt Köln“ – sie heißt wirklich so, dreimal kommt im Titel das Wort Ordnung vor – regelt unter §11 „störendes Verhalten in der Öffentlichkeit“ und stellt in Absatz 2 klar: „Zelten oder Nächtigen ist in öffentlichen Grünflachen und auf Spiel- und Bolzplätzen untersagt.“
Trotzdem hat der Kölner Künstler Jan Glisman im südlichsten der vier Sondergärten des Vorgebirgsparks, im sogenannten Staudengarten, ein Zelt aufgeschlagen. Nächtigen wird er darin allerdings nicht. Das wäre auch, aus Gründen, die noch deutlich werden, ein schwieriges Unterfangen.
Was ist das überhaupt für ein ungewöhnliches Zelt? Es entspricht weder in Form noch Farbe dem, was man von Campingplätzen und Musikfestivals als handelsübliche
„bewegliche Unterkunft“ kennt (als solche wird „Zelt“ im Grimmschen Wörterbuch definiert). Es ist schwarz, hat also eine ziemlich ungünstige Farbe für ein geschlossenes Zelt, weil es sich bei Sonneneinstrahlung schnell aufheizt. Auch die Größe ist unüblich: mit einer Länge von 260 Zentimetern zu groß für ein Zweimann-, zu klein aber für ein Familienzelt.
In Wahrheit handelt es sich auch nicht um industriell gefertigte Konfektionsware, sondern um eine Spezialanfertigung, die der Künstler in Zusammenarbeit mit einem Kölner Drachenbauer aus Spinnakertuch, einem extrem leichten Nylongewebe, hat schneidern lassen. Tatsächlich von einem Drachenbauer, nicht einem Zeltmacher! Den Grund dafür beginnt man zu ahnen, wenn man sich dem Objekt nähert und ein entscheidendes Detail bemerkt, das man aus der Entfernung nicht wahrgenommen und auch nicht erwartet hatte: Das Zelt steht nicht auf dem Rasen des Staudengartens, sondern schwebt etwa 50 Zentimeter über dem Erdboden in der Luft. Der erste Gedanke des verblüfften Betrachters mag sein, dass es sich um einen Trick handelt. Sind die Seile, von denen das Zelt gehalten wird, vielleicht in Wahrheit Stahlstäbe? Das lässt sich leicht widerlegen. Oder wird das Ganze von unten durch eine Stütze gehalten? Wer es genau wissen will, kann sich auf den Boden legen und nachschauen, wird aber nichts finden. Spätestens wenn man sieht, wie das Zelt leicht im Wind schaukelt, beginnt man seinen Augen zu trauen. Mysteriöserweise schwebt das Zelt also. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man weiß, dass Jan Glisman in den letzten Jahren durch spektakuläre Aktionen bekannt geworden ist, bei denen er tonnenschwere, noch weiche Tonrohre von einem Kran hat hochziehen und aus großer Höhe abstürzen lassen. Beim Aufprall verformen sich die Rohre zu faszinierenden, organisch wirkenden, wulstigen Gebilden, die Glisman anschließend in Industrieöfen unter der Einwirkung hoher Temperaturen brennt, um sie für die Nachwelt zu konservieren. Der Schwere des Materials und dem Sturz aus der Höhe setzt der Künstler im Vorgebirgspark nun also ein federleicht schwebendes Zelt entgegen. Diese Arbeit bewegt sich nicht wie in vorherigen Projekten durch die Gravitation auf die Erdoberfläche zu, sondern eher in einem rätselhaft gegenläufigen Prozess von ihr weg.