BILDERGALERIE

THE PARK IS MINE

Der Vorgebirgspark im Kölner Stadtteil Zollstock wurde vor genau 100 Jahren nach Plänen des Gartenarchitekten und damaligen Gartenamtsleiter Fritz Encke eröffnet. Dieser Park war bewußt auf eine intensive Benutzung durch die Bevölkerung ausgerichtet, was damals keineswegs üblich war. Daher wurde der Vorgebirgspark von seinem Planer selbst auch als „erster neuzeitlicher Volkspark“ angepriesen. Bis heute ist der Park in seiner Grundstruktur unverändert erhalten und wird intensiv von der Bevölkerung genutzt.

Anlässlich der Vorgebirgsparkskulptur 2014 wird der Besucher am Eingang von der Kreuznacher Straße aus von einer großen weißen Tafel empfangen: THE PARK IS MINE. Die Buchstaben des Satzes sind ausgesägt, die hinter dem Schild mächtig gewachsenen Bäume geben den Worten einen satten Grünton, der sich gut lesbar von dem Weiß der 2 x 4m großen Tafel abhebt. Geht der Besucher an dem Schild vorbei durch die Ziergärten des Vorgebirgsparks auf die kleine Anhöhe zwischen Rosengarten und Staudengarten, hat er einen guten Blick auf die Anlage, um zu entdecken, dass ein Teil des Staudengartens von Picknickdecken belagert ist, die zum Niederlassen und zum Blättern in den dort liegenden Heften, sogenannten Fanzines oder Zines, mit der Aufschrift THE PARK IS MINE auffordern. Wer erhebt hier solch einen Anspruch auf den Park? Jeder einzelne Besucher, der die Worte „THE PARK IS MINE“ wie einen Virus in seine Gedanken aufnimmt und mit sich trägt? Die Bäume als Schrift – ist es also die Vegetation, die ihren Anspruch manifestiert? Was geschieht hier? Ein gemütliches Familienpicknick oder doch eher eine Protestbewegung? Unweigerlich laufen vor dem inneren Auge die Bilder von Parkbesetzungen der letzten Jahre ab: mit „Occupy-Gezi“ wurde der Gezi Park in Istanbul im Sommer 2013 weltweit über das Internet bekannt.

THE PARK IS MINE ist eine Zusammenarbeit der Kölner Künstler Julia Bünnagel und Patrick Rieve. Der Titel ist dem gleichnamigen Action-Thriller von 1986 entlehnt: um an die vielen gefallenen Soldaten des Vietnam-Krieges und die Situation der Veteranen zu erinnern, beschließt Mitch (Tommy Lee Jones) den Central Park in New York für 72 Stunden unter seine Kontrolle zu bringen und jegliches Eindringen zu verhindern. Mit gebunkertem Sprengstoff und Waffen, die er im Park versteckt hat, vermint er diesen, bereitet so sein eigenes Vietnam-Trauma auf und versucht, die Menschen im Land wachzurütteln. Für 72 Stunden ist er der „Herrscher des Central Parks“, wie der Film auf Deutsch übersetzt wurde. THE PARK IS MINE behauptet den Gebietsanspruch eines jeden Besuchers auf diesen und kann daher als radikale Fortführung des Volksparkgedankens, den Fritz Encke hier realisierte, verstanden werden. Hin zu dem Anspruch auf einen Ort, eine Rückzugsmöglichkeit, die die individuelle Freiheit ermöglicht.Ein Ort ohne Konventionen, ohne Regeln, ohne Verbote, frei von Technik und Rationalität. Etwas mehr Wildnis braucht der Mensch inmitten der reglementierten Urbanität!

An Parkeingängen stehen oft die Parkordnungen mit Verboten oder aber auch, wie am Eingang der Royal Botanic Gardens in Sydney: „Please walk on the grass. We also invite you to smell the roses, hug the trees, talk to the birds and picnic on the lawns.“ Am Eingang zum Vorgebirgspark steht: THE PARK IS MINE. Das Schild könnte alles sein: Bautafel, Werbung, Demonstration, Skuptur/Architektur oder Filmkulisse.

Wie in vielen anderen Arbeiten der beiden Künstler, besonders von Julia Bünnagel, gibt es keine Festlegung auf eine Kunstgattung. Hin-und herdiffundierend zwischen Architektur-Skulptur-Design-Performance-Bühne, interessiert sie der Grenzgang, der Raum dazwischen. Spurenleger für die Verbindung künstlerischer und sozialer Wirkungsfelder ist der österreichisch-amerikanische Künstler-Architekt Friedrich Kiesler (1890-1965) mit seiner Theorie der „correlated arts“. Das Sichtbarmachen von Lebensräumen ist auch das Anliegen von Patrick Rieve, dessen künstlerische Ausdrucksweise sich zwischen (Architektur) Zeichnung, Comic, Rauminstallation, Performance und Musik bewegt. Seit den 1990er Jahren publiziert er außerdem Fanzines (Fan-Magazines). Dies sind unabhängige, in der Herstellung einfache und nichtkommerzielle Hefte, die für eine bestimmte Szene gemacht und direkte Verteilungswege haben. Patrick Rieve besitzt eine recht einzigartige Sammlung von Zines, die „St. Patrick‘ s Zine Library“. Das zur Ausstellung erscheinende Fanzine besteht aus Kopien von Fotos, Collagen, Texten und Zeichnungen im DIN A5 Format. Hier setzten sich die beiden Künstler mit dem Themenkreis um Territorium, Besetzung, sichtbar-unsichtbar auseinander und zeigen u.a. den Variantenreichtum der Besetzung öffentlicher Parks auf, z.B. durch „Urban Gardening“.

Als Grenzgänger kann man den Held aus dem titelgebenden Film bezeichnen. Die Arbeit THE PARK IS MINE läßt sich auch als Filmkulisse betrachten. Außerhalb des Parks ist der Besucher noch Zuschauer, er sieht das Schild frontal und kann die Worte lesen. Sobald er die Eingangsgrenze überschreitet, mit Betreten des Parks also, erkennt er die einfache haltgebende Konstruktion der Tafel wie eine Kulisse, vom Inneren des Parks ist die Schrift spiegelverkehrt und dadurch nicht lesbar. Aber er ist mit dem Virus infiziert und der Text THE PARK IS MINE bedingt die Handlung der Besucher-Schauspieler im Park. Julia Bünnagel und Patrick Rieve bieten die Gelegenheit, ein Stück Vorgebirgspark auf die kleinste mögliche Form der Parkbesetzung einzunehmen – auf der Picknickdecke. Als Kategorischer Imperativ aufgefasst, kann der Besucher aber nur insoweit seinen Anspruch auf den Park realisieren, wie er die Ansprüche der anderen nicht touchiert, eben eine schmale Gratwanderung – ein Grenzgang!

Marita Kolster

VITA

Julia Bünnagel
(*1977) studierte Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf. Ihre gattungsübergreifenden Arbeiten umfassen Installationen, Skulpturen sowie Soundinstallationen und oszillieren zwischen Themen der Architektur, Kybernetik, Wahrnehmung und Wirklichkeitskonstruktion. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland gezeigt.
www.juliabuennagel.de

Patrick Rieve
(*1971) studierte von 1993 bis 2000 Visuelle Kommunikation an der HfbK in Hamburg. Seine künstlerische Arbeit umfasst Installationen, Objekte, Zeichnung und Aktionen sowie Comics und künstlerische Publikationen. Oft sind es Projekte, die sich in diversen Medien materialisieren. Inhaltlich vorherrschende Themen sind die Fraktionierung von Realität und die individuelle Positionierung in Raum und Zeit.
www.patrickrieve.de

Beide Künstler leben und arbeiten in Köln. Seit 2008 kommt es immer wieder zu Kooperationen. So entstand 2008 die Arbeit Where Words End, die sie für das Forgotten Bar Project in Berlin entwickelten und 2009 in der Galerie für Landschaftskunst Hamburg zeigten. Anlässlich der Ausstellung Parcours Interdit im Malkasten Park in Düsseldorf erschien 2009 ihre gemeinsame Publikation, die erste Ausgabe des Fanzines The Park is Mine. 2011 entwickelten sie zusammen ein Konzept für die Ausstellung Simulacra im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr.

Julia Bünnagel wird vertreten von Sebastian Brandl sowie der Galerie Rupert Pfab. Patrick Rieve arbeitet zusammen mit der Galerie für Landschaftskunst und der Galerie M29 / Richter & Brückner.