BILDERGALERIE

Streckenabschnitt Vorgebirgspark

Jedes Kunstwerk beginnt bekanntlich mit einer Idee und wird Realität durch ihre Ausführung. Die Schritte ihres Machens bleiben dem Kunstfreund zumeist unbekannt. Er bekommt nur das fertige Produkt zu sehen. Ganz anders, nämlich öffentlich, geht Ralf Witthaus ans Werk, wenn er seine so genannten „Rasenmäherzeichnungen“ ausführt, von denen er eine beeindruckende Reihe seit 1997 in kommunalen Parks und privaten Gärten in den grünen Rasen schnitt. Zum Beispiel in Münster, Leipzig und Bielefeld, vor kurzem erst in Rotterdam anlässlich der Fußballweltmeisterschaft, um nur einige Orte seiner ungewöhnlichen Art zu zeichnen zu nennen. Nun zeichnete Witthaus wieder einmal in Köln, wo er ansässig ist.
Warum mähen ein Mann im schwarzen Anzug und sein Team in weißen Hemden und schwarzen Hosen auf der weiten Wiese des Vorgebirgsparks das Gras? Mit dieser Frage hat Ralf Witthaus öfters seine Erfahrungen gemacht. Nicht selten erkundigten sich neugierige Passanten bei den fleißig mit den motorisierten Rasenmähern Arbeitenden nach dem Sinn ihres emsigen Tuns, nach ihrer Handlungsvollmacht sogar, oder danach, irritiert durch seine, als unpassend beurteilte Business-Kleidung, welchen Beruf der Chef der Schnitter wohl habe? Ralf Witthaus ist Künstler und will mit seinem feierlichen Outfit die profane Gartenarbeit und den Vorgang des ungewöhnlichen Zeichnens in der Rasenfläche bewusst als kreativen Schöpfungsakt herausstellen, ohne die gestaltende Mähaktion und das zeitaufwändige Rechen des geschnittenen Grases zur künstlerischen Performance zu erheben. Es handelt sich schlicht um das Stadium des handwerklichen Gestaltens, das zum Beispiel für die 400 Meter lange Zeichnung im Kölner Vorgebirgspark mehrere Arbeitstage erforderte -trotz des Einsatzes eines rasant schneidenden stadtkölnischen Rasenvertikutierers der De-Luxe-Klasse. Witthaus nennt seine Rasenmäherzeichnungen auch ‚Denkmäler auf Zeit‘, denn rasch ist über solche flüchtigen Werke das Gras gewachsen. Denkanstöße geben und Erinnerungen wachrufen will der Kölner Zeichner auch mit seiner neuesten Arbeit,

die er „Streckenabschnitt Vorgebirgspark“ nennt. Was will uns der Künstler mit seiner eigenartigen Bodenskulptur, die er in mehreren Tagen aus dem sprießenden Grase herausschnitt, sagen? Was hat ihn zu dieser aufwändigen Mäharbeit inspiriert und motiviert?
Im Zuge der „autogerechten Stadt“, einer bundesrepublikanischen Wirtschaftswundermarotte der 1960er Jahre, wie sie frühzeitig Wolf Vostell künstlerisch kritisierte, planten 1962 auch mehrere Kölner Ämter eine mehrspurige und kreuzungsfreie Stadtautobahn, die von der Zoobrücke über den Aachener Weiher bis zum Bonner Verteiler im Süden der Stadt führen sollte. Ihre mächtige Betontrasse hätte auch das Naherholungsgebiet Vorgebirgspark durchschnitten, wenn das Projekt vollständig ausgeführt worden wäre. Ralf Witthaus führt dem Betrachter die Idee gebliebene Straßenbaumaßnahme gewissermaßen als vegetabiles Phantom vor Augen, indem er in die Wiese des Vorgebirgsparks einen gekurvten Streckenabschnitt zeichnete. Zu beiden Seiten der fiktiven Trasse mähte er das Gras, ließ es also in der Mitte höher stehen. Der solcherart ‚plastisch‘ nachvollziehbare Straßenverlauf nimmt seinen Anfang am so genannten „Baumhof“ und quert eine durch den Park führende, aber gesperrte Asphaltstrasse, so dass eine temporäre Straßenkreuzung aus Realität und Illusion entsteht. Ampelpunkte, mähtechnisch angepasste Gehwege und Straßenmarkierungen wurden bis auf die Grasnarbe geschnitten und sollen die Imagination der Parkbesucher zusätzlich zur grasgrünen ‚Fahrbahn‘ anregen. So kann ein jeder sich mit etwas Phantasie ausmalen, wie an diesem Ort heutiger Freizeitgestaltung der brausende und abgasreiche Autoverkehr seinen Bahn ziehen würde, wenn …
Ralf Witthaus‘ monumentale Rasenmäherzeichnung gleicht einem gigantischen abstrakten Bodenrelief. Es zieht die Aufmerksamkeit auf sich und lässt den mobilen Betrachter am fiktiven Tatort einen Aspekt Kölner Zeitgeschichte nachdenklich nachvollziehen – hier einen, aus welchen Gründen auch immer Theorie gebliebenen.

Gerhard Kolberg

VITA

Vita

1973———————geboren in Bad Oeynhausen, lebt in Crailsheim

1994-2001————Studium Kunst und Gestaltung an den Hochschulen

—————————–FH Bielefeld, AKT Enschede (NL), UDK Berlin, HAW Hamburg

2002———————Stipendium für bildende Kunst, Stipendiatenhaus Salzwedel

2003———————Stipendium der Aldegrever-Gesellschaft Münster

Gruppenprojekte (Auswahl)

1998-2002————-„Kunstprojekt KonWerl 2010″, „Die Liegende“, Werl, (K)

1999———————-„Hobart Barracks/Detmold“, Hochschulprojekt mit Harvard University, USA

2000-2001————-„Proudenf-Strömungen“, Rehlovice, CZ, (R/K)

2002 -2004————„Multiples+Kultiples“, Galerie ARTicle, Köln

2003———————„… sind im Park“, Bürgerpark Pankow, Galerie Pankow, Berlin, (R/K)

2005———————„Häuser einparken“, Ausstellungsraum Jürgen Bahr, Köln

2005———————„plaste + elaste“, Museum für verwandte Kunst, Köln

2005———————„zwischengrün“, Kunstverein Leipzig, (R/K)

2005———————„Egggarden“, Comme ci comme ca III, Üxheim/Eifel, (R)

2005———————„Köln Quartett“, Fuhrwerkswaage Köln, (R/K)

2005———————„Black Market“, Kunstraum Rampe, Bielefeld

2006———————„Schöne Aussicht“, Galerie Lutz Rohs, Düren, (R)

2006———————„aquamediale“, Lübben, (K)

Einzelprojekte (Auswahl)

2002———————„Der Kunstrasensommer Salzwedel“, Salzwedel-Stipendium (R)

2002———————„Schaft Land“, Ausstellungsraum Jürgen Bahr, Köln

2003———————„Dein Rückruf, Stadt. Galerie und Realschule Löhne

2003———————„Die Wahl der Kleidung“, Galerie im Tulla, Mannheim

2004———————„Witthaus‘ Sommerwiesen Münster“, Oberfinanzdirektion Münster, (R/K)

2004———————„Das Blatt sinkt herab durch den Baum“, Galerie 61, Bielefeld (R)

2005———————„Endlich! Witthaus baut Hund ohne Mund“, Robert-Koch-Schule Heidelberg

2006———————„Das Freundschaftsspiel“, Goethe-Institut Rotterdam (R)

2006———————„Lob der Berge“, Stadt. Galerie Nordhorn, (R)

(R) Rasenmäherzeichnung, (K) Katalog

 Adresse

Mittlerer Weg 9

74564 Crailsheim