BILDERGALERIE

Propeller für D

Der Kölner Vorgebirgspark besitzt unter seinen ihm vorgelagerten vier „Gartenräumen“ ein rustikales, von Bäumen umsäumtes Wiesengeviert. Auf dieses stellte Victoria Bell, einfühlsam zum axial geordneten Umraum platziert, eine für das Ausstellungsprojekt geschaffene Eichenholzplastik aus zwei Teilen. Titel: „Propeller für D“. Bereits seit 1969 lebt und arbeitet die amerikanische Bildhauerin in Köln. Kunstfreunde lernten ihre plastischen und zeichnerischen Werke in Ausstellungen sowie in privaten und öffentlichen Sammlungen kennen und schätzen. Öffentlich zugänglich ist die 1994 vom Museum Ludwig im Kölner Rheingarten aufgestellte Ulmenholzskulptur „Avion“ aus dem Jahre 1985.
Das Fliegen in Raum und Zeit, das erforschende Aufblicken zu den Sternen, die moderne Astrophysik, Astrologie und Chaostheorie beschäftigen die Künstlerin bereits seit Jahrzehnten. Schon während ihres Malereistudiums an der University of California in Berkley, 1965 bis 1967, besuchte sie Seminare in Physik, legte sie den Grundstein zu ihrem späteres Schaffen, das Naturwissenschaft und Kunst kreativ miteinander verbindet. Seitdem lauten die phantasieanregenden Titel ihrer Skulpturen und Zeichnungen etwa so: Solar, Raum-Zeit-Wurf oder Fractal-Thermodynamics, Avion und Propeller. Zu diesen Themen, die wie in einem Science-Fiction-Film der Zukunft zugewandt sind, steht die Wahl der Bildhauerin für das archaische Gestaltungsmaterial Holz in einem Aufmerksamkeit provozierenden (scheinbaren) Widerspruch.
Stets versucht der Betrachter ihrer auf den ersten Blick gänzlich abstrakt erscheinenden Holzskulpturen die im jeweiligen Werktitel verborgene Thematik auch in der Form der Plastik zu entdecken. Dabei wird er, wie vorher die gestaltende Künstlerin, zu Phantasiereisen ermuntert, wird er zum Gedankenflieger, ähnlich, wie vielleicht schon in archaischen Zeiten die Menschen sich Vorstellungen vom Fliegen und von den Himmelswelten machten. Die riesigen Scharrbilder in der peruanischen Wüste regen uns nach wie vor zum Nachdenken an. Wem wollen sie ein Zeichen geben? Ebenso erdverbunden, sowohl in physischer als auch ästhetischer Masse, Volumen und Schwere, gleichen Victoria Bells Holzskulpturen denn auch archaisch-plastischen Wunschbildern, dienen sie uns als Startrampe für Gedankenflüge. Eine gesunde Portion Ironie spielt mit und vermittelt dem Betrachter ihrer werke eine realistische Bodenhaftung.Victoria Bell zeichnet zwar Ideenskizzen von Skulpturen, jedoch die Körperkraft erfordernde Gestaltung ihrer plastischen Werke mit großer Säge, schwerer Axt und handlicherem Beil lässt während des Schaffensprozesses Freiheit für kreative Änderungen.

Darin ist sie der Chaostheorie latent verbunden, die das reagierende Ausbalancieren von Ursache und Wirkung begründet und teils auf die Theorie von Benoit Mandelbrot aufbaut, dass eine „fraktale Geometrie“, eine Geometrie der Unregelmäßigkeit, parallel zur herkömmlichen Geometrie der regelmäßigen und symmetrischen Formen existiere.Demzufolge ergeben unregelmäßige Einzelphänomene, also Fraktale, ein komplexes Ganzes, was sich in der Mehrteiligkeit von Bells Skulpturen spiegelt: als Kombination aus „individuell“, das heißt: weitgehendst unabhängig voneinander bearbeiteten Einzelformen. In solchen kubischen Formelementen, untereinander wie Nut und Feder oder mittels Flächenformen und Stangen aus Stahl verbunden, bestimmen pralle Wölbungen, gebrochene Kanten sowie prismatische Knickungen und Formflächen das formalästhetische Geschehen. Das Licht teilt diese Formen auf in helle Seiten und dunklere Schattenzonen und leuchtet sowohl die Strukturen der glättenden Beilarbeit, der Risse und Maserungen als auch die Gesamtplastizität der Skulptur heraus. Alle diese differenzierten Aspekte natürlicher Gestaltung assoziieren eine auf Motorblock, Propeller und Stahlstangen-Welle abstrahierte Holzskulptur, deren Titel „Propeller für D.“ die Idee von der Phantasie anregenden Funktionslosigkeit verbirgt.
Denn „D“ bedeutet Marcel Duchamp! Locker und im duchampschen Sinne vorbildlos, ließ sich Victoria Bell von dessen (und auch Francis Picabias) zunächst gemalter Erotisierung des plastischen technischen Objektes, verwandelt in maschinelle Brautpaare, inspirieren. Nicht zu vergessen ist diesbezüglich Duchamps berühmt gewordene Frage an seinen Künstlerfreund Constantin Brancusi angesichts eines aerodynamisch geformten Flugzeugpropellers auf dem Pariser Luftfahrsalon 1913:“Sag, kannst Du das auch?“
Fraglos bestehen gestalterische Unterschiede zwischen Victoria Bells expressiv gehauenen Holzskulpturen und den perfekten Rundungsplastiken Brancusis, doch einigt sie das Abstraktionsbestreben, nicht abbilden zu wollen. Victoria Bell kennt einen Propeller, dann stellt sie sich einen Propeller vor, um bald darauf einen plastischen zu formen. Bells „Propeller“ ist die Idee eines technischen Instruments, das die moderne Luftfahrt erst möglich machte und ein Symbol für das Fliegen – vor allem für Gedankenflüge, die, energiesparend, oft die schönsten und krativsten sein könnten.
Guten Flug!

Gerhard Kolberg

VITA

1961-1965                      Smith College, Northampton, Massachusetts , USA, B. A. in Art
1965-1967                      University of California, Berkley, California, USA (Malerei)
1969                                Umzug nach Köln

Ankäufe ab 1991 bis 2001

Stadt Wesel
Museum Ludwig Köln
Collection Dobermann
Chef do Pont, Normandie

Ausstellungen 1994 bis 2001(Auswahl)

1994                                  Galerie Haar, Mönchengladbach (E)
1994                                  Galerie Carol Johnsson, München (E)
1994                                  „Besinnung“ Bildhauersymposion, Strausberg, Berlin
1995                                  Galerie Path, Aalst, Belgien (E)
1995                                  Bundesministerium für Verkehr, Bonn (E)
1996                                  „Gabriele Münter Preis“, Bonn, Osnabrück, Erfurt
1997                                  Inszenierung und Vergegenwärtigung“, Martinskirche, Kassel
1997                                  Galerie Carla Stützer, Köln
1997                                  „ART COLOGNE“, 1991 – 1997
1997                                  Rhona Hoffmann Gallery, Chicago, USA (E)
1998                                  „Lieblingsorte“, Köln
1998                                  „Rheingold oder Macht Geld Sinn“, Burg Linn Krefeld
2000                                  Lichthof der Gesamtschule Brühl (E)
2000                                  Galeri9e Carla Stützer, Köln (E)
2001                                  „Köln-Kunst 6”
2001                                  „Piano III”, Galerie Carla Stützer, Köln
2001                                  Linda Durham Contemporary Art, Santa Fe-Galisteo, New Mexico, USA
2001                                  Kunst im Vorgebirgspark, Köln
Adresse

Zülpicher Straße 239
50937 Köln