BILDERGALERIE

„Spielregel“

Wer völlig unvermutetauf Werner Haypeters Installation „Spielregel“ im Baumhof des Kölner Vorgebirgsparks trifft, wird wahrscheinlich zunächst überhaupt nicht an Kunst denken. Das wäre ein guter Einstieg in die Beschäftigung mit ihr. Drei fest installierten, von Wind und Wetter schon ein wenig gezeichneten grauen Tischtennisplatten aus Beton stehen für einen Tag drei nagelneue, mobile Outdoor-Platten in kräftigem Blau zur Seite. Bälle und Schläger liegen zum Spielen bereit. Fast sieht es aus, als ob ein Tischtennisturnier anstünde. Warum aber die ungewöhnliche Aufstellung der Platten, wobei die eine räumlich versetzt und über den Gehweg hinweg einzelnplatziert ist? Und was hat es mit dem gelben Band auf sich, das locker zwischen zwei Bäumen zur Nordseite hin auf dem Boden ausgelegt ist? Insbesondere jüngere Parkbesucher werden es schnell als Slackline identifizieren. Es handelt sich dabei um einen15 Meter langen Spanngurt aus Kunststoff, den man zwischen zwei Bäumen spannen, d. h. dem Baumabstand anpassen kann, um darauf zu balancieren. Dass die Slackline ungenutzt am Boden liegt, ist jedoch ebenso erklärungsbedürftig wie der Umstand, dass neben ihr ein junger Mann auf einem Hocker sitzt wie ein Museumswächter. Auf Fragennach dem möglichen Einsatz der Slackline verweist er auf die geltende Kölner Stadtordnung, § 24 (2):„Slacklining und vergleichbare, baumschädigende Sportarten sind nur an den dafür ausgewiesenen Stellen zulässig.“ Zu diesen ausgewiesenen Orten gehört der Vorgebirgspark nicht.

Der junge Mann, der bereitwillig für Gespräche mit den Parkbesuchern zur Verfügung steht, ist Teil der Installation. Dass es sich um einen Studenten der Soziologie handelt, entspricht genau dem Konzept des Künstlers. Denn Haypeters Arbeit besteht eben darin, sich mit formal präzisen künstlerischen Setzungen in bestehende soziale Strukturen einzuklinken und diese zu verändern. Eine gesellschaftliche Gegebenheit, an die er anknüpft, ist das Konzept von Spiel und Spielregel. Seine Installation setzt nicht am Begriff „Kunst“, sondern bei dem alltäglichen Wissen, den Erfahrungen und Vorstellungen an, die die Parkbesucher u. a. über Tischtennis und Slacklininig mitbringen. Der Verweis auf die Kölner Stadtordnung bringt eine andere, übergreifende gesellschaftliche Regelung mit ins Spiel. In besonderem Maße aber macht der Park selbst, seine Idee und seine formale Struktur, Vorgaben, die Haypeter aufgreift und zum Ausgangspunkt seiner Installation nimmt. Der Gartenarchitekt Fritz Encke hatte den Vorgebirgspark 1911 nicht zuletzt auch für jene Kölner Bürger entworfen, die aufgrund ihrer Wohnsituation keine eigenen Gärten oder sonstigen Grünflächen zur Verfügung haben, wobei dem Erholungs- und Freizeitwert von Sport und Spiel besondere Bedeutung zukommt. Haypeter greift diese Idee mit der Verwendung von zeitgemäßen Sportgeräten auf und bringt diese in Bezug zu den im Park vorhandenen räumlichen Strukturen.

Dessen dominierendes formales Element ist die wie ein Rückgrat durch die vier aneinandergereihten Sondergärten laufende Symmetrieachse. Mit der Aufstellung der Outdoor-Platten greift Haypeter diese Struktur auf, bricht aber die Symmetrie behutsam. Ihre Platzierung orientiert sich an den drei bereits im Park vorhandenen Betonplatten. Die neuen Platten teilen deren Abstand zum Rand des axialen Gehwegs genau mittig.

Im selben Abstand, jedoch zur anderen Seite des Gehwegs hin, ist die mittlere Tischtennisplatte aufgestellt, sodass sich eine offenere Gesamtsituation ergibt. Die Tischtennisplatten werden zum Material für die formale Akzentuierung der Parksituation, die zugleich ein neues Erleben ihrer räumlichen Struktur ermöglicht. Zugleich stehen sie den Parkbesuchern zum Spielen zur Verfügung. Der Künstler selbst betont, dass er die Platten verwendet wie ein Maler die Farbe auf der Leinwand. Apropos Farbe: dass Werner Haypeter blaue Tischtennisplatten und eine gelbe Slackline gewählt hat, ist kein Zufall, sondern eine Bezugnahme auf die im Park (zumindest im Sommer) vorherrschende Farbe Grün. Blau und Gelb ergeben in optischer Mischung bekanntlich Grün.

Unter räumlichen Gesichtspunkten betrachtet, bekommt auch die Slackline einen neuen Stellenwert. Vom Prinzip her ist sie dazu gedacht, zwischen zwei Bäumen aufgespannt zu werden. Sie verweist also wie ein abstraktes Maßband auf die vorhandenen Abstände der Linden, die den Baumhof ringsum eingrenzen und damit einen wichtigen Bestandteil seiner räumlichen Gesamtstruktur bilden. Eine weitere formale Setzung ergibt sich aus Haypeters Verhandlungen mit dem Kölner Grünflächenamt darüber, die beiden mitten im Baumhof aufgestellten grünen Drahtgitterbänke auf Dauer durch zwei weitere, genau gegenüber zu platzierende Pendants zu ergänzen, um die Symmetrie wiederherzustellen und eine kommunikationsfreundlichere Situation zu schaffen.

Schon allein diese Maßnahme macht deutlich, dass Haypeters Installation sich nicht in ihrer Präsenz am 31. August 2014 erschöpft. Für ihn ist sie konzeptionell viel weiter angelegt und umfasst alle Schritte der Planung, die Prozesse und Handlungsabläufe ihrer Realisierung und ebenso die involvierten Personen und Institutionen. Dies lässt sich besonders gut an den mobilen Tischtennisplatten verdeutlichen. Mobil sind sie nicht bloß in dem vordergründigen Sinne, dass sie leicht ab- und aufzubauen und mit ihren jeweils vier Rädern mühelos zu bewegen sind. Sie sind auch mobil in einem systemischen oder logistischen Sinne. Für ihre Anschaffung hat Haypeter einen Sponsor gefunden, bezeichnenderweise eine Bonner Wohnbaugesellschaft, womit der Zusammenhang der Installation mit Fritz Enckes Volksparkgedanken der Erweiterung der städtischen Wohnsituation bewusst aufgegriffen wird. Die Bestellung der Platten, ihre Montage und zeitweilige Aufbewahrung in der direkt am Park gelegenen Jugendkunstschule Rodenkirchen, die mithilfe einer Fotodrohne realisierte Luftaufnahme ihrer Aufstellung im Baumhof, aus welcher der formale, den Raum gliedernde Aspekt der Installation deutlich hervorgeht – alle diese Einzelschritte (und viele mehr) sind Teil des Kunstwerks. Wichtig ist auch die Verwendung der Tischtennisplatten nach der Aktion im Park. Sie werden an drei soziale Jugendeinrichtungen in Köln und Bonn weiterverschenkt. So werden sie sich aus dem Kunstkontext, in dem sie sich kurzfristig befanden, wieder zurück in einen anderen gesellschaftlichen Zusammenhang bewegen.

Peter Lodermeyer

VITA

Vita

1955                      geboren in Helmstedt/Niedersachsen
1978-85     –           Studium an der Kunstakademie Düsseldorf
1982                      Reisestipendium der Kunstakademie Düsseldorf
1983                      Meisterschüler von Prof. Erwin Heerich
1986                      Kunstpreis und Stipendium der Stadt Bonn
1991                      Transfer, Stipendium des Landes Nordrhein-Westfalen
1994/95          –     Atelierstipendium der Unternehmensgruppe A. Sutter, Essen

1991                      Arbeitsstipendium des Kunstfonds e.V., Bonn

1996                      Piepenbrock Nachwuchspreis für Bildhauerei `96, Osnabrück

Lebt und arbeitet in Düsseldorf und Bonn.