Zurück aus Arkadien
Vom Hortus conclusus zum Vorgebirgspark
Der so genannte „Staudengarten“ im Kölner Vorgebirgspark löste nicht erst bei Ingrid Roscheck poetische Assoziationen zu arkadischen Gefilden aus, wie wir sie von Dichtungen und Gemälden her kennen. Die kompakten, dunklen Zypressen ähnlich sehenden Eibenbäume, sowie die rätselhaft verwaisten Steinpostamente tragen nachhaltig zu diesem lyrischen Eindruck bei, den ein Hauch von Melancholie begleitet. In dieses natürlich gewachsene und von Gärtnerhand gepflegte Szenenbild für alltägliche Ereignisse stellt Ingrid Roscheck wie zufällig einen 2,40 Meter hohen und in der Grundfläche 163 x 100 cm messenden, quasi mobilen Wagen, so, als sei er gerade imaginär aus Arkadien zurückgekehrt, um in zwei kubisch motivierten Etagen und einer figurativen Darstellungsebene, die vollständig in dunkelgrün glasierter Keramik gestaltet sind, von jener paradiesischen Märchenwelt zu erzählen. Der dreigegliederte Wagenaufbau auf Rädern ähnelt entfernt einem Kabinettschrank, wie er in den fürstlichen Kunst- und Wunderkammern zur Aufbewahrung diverser Raritäten Verwendung fand, und den wir hier mit Ingrid Roschecks beliebter Thematik des ‚Vehikels‘ phantastisch kombiniert finden. Das Vergnügen, Geheimnisvolles zu entdecken und Verborgenes offen zu legen, ist jenen verschachtelten Vorläufern der Museen ebenso zueigen, wie den formenklaren Keramikgefäßen und figürlich gestalteten Miniaturräumen, die Roscheck in ihrem arkadisch motivierten Bildwerk grotesk ineinander fügt und wundersam miteinander kommunizieren lässt. Der Besucher des „Staudengartens“ ist rasch von dieser pittoresken Bildwelt en miniature in den Bann geschlagen, seine zum Allgemeinen neigende Wahrnehmung verwandelt sich in Aufmerksamkeit fürs Kleine. Er spürt das Inspirierende des Details und aktiviert betrachtend seine Sinne und Sinnlichkeit. Die ‚Kleinen Welten‘ des puppenstubenartigen Kunstwerks, die er nun mit kindlicher Neugier visuell erforscht, öffnen seine geheimen Innenwelten, denn das verlorene Paradies, wie man Arkadien auch bezeichnen kann, liegt allein in der menschlichen Psyche verborgen.
Wenngleich die untere Etage des hohen Bilderwagens, bestehend aus mehreren, 60 bis 80 cm hohen Keramikgefäßen, primär über deren glänzenden Außenseiten wahrgenommen wird, so verbirgt sich in den dunkelgrünen Tiefen dieses ‚architektonischen‘ Gefüges eine Art geordnetes Puzzle, ein Labyrinth aus akkurat zueinander gestellten keramischen Formen von verschiedener kubischer Gestalt, und zwar vom Zylinder, Kubus und Oval über Winkel- und T-Formen bis hin zu einem außerordentlich hohen Gefäß reichend, das im Zentrum des Ensembles mit seiner dekorativen ‚Halskrause‘ bis zur mittleren arkadischen Bilderwelt emporragt und ringförmig einen ‚tiefen Brunnen‘ assoziiert. Diese paradiesische Gartenebene (paradaisos, altpersische Bezeichnung für einen ummauerten Garten) erstreckt sich im toleranten Bereich menschlicher Augenhöhen und setzt sich aus verschiedenen, halb umschlossenen Räumen zusammen, die man auch als Zimmer, Grotten oder Theaterbühnen betrachten kann. Sie sind alle labyrinthisch miteinander verbunden und werden durch die Fugen der darüber gebauten ‚Oberwelt‘ hindurch – die aus ähnlich formminimalistischen Keramikplastiken besteht, wie sie die architektonische Basis auszeichnet – geheimnisvoll beleuchtet.
Beim staunenden Umschreiten und spähenden In-die-Knie-Gehen erhält der Betrachter Einblicke in kleine, wie aus Bruchsteinen gemauerte Grotten barocker Gartenkunst. In einem schützenden Halbrund ereignet sich eine ‚Galante Szene‘, das heißt: ein junges Liebespaar hat sich zu einem Tete-ä-tete auf eine Gartenbank zurückgezogen. Eine andere Grotte gleicht einem Hortus condusus phantastischer Blumen, und eine weitere Nische birgt ein mahnendes ‚Tödlein‘, also einen grinsenden ‚Freund Hein‘, dessen, zum Ernten bereite Sense mahnend über das Gemäuer ragt. Grüne Wände mit glotzenden Ochsenaugen, wie sie der Barock, jene höfische Epoche mit Sinn für rustikale, ‚arkadisch‘ verklausulierte Frivolitäten so liebte, beleben und gliedern Roschecks ‚Kleines Welttheater‘ ebenso wie keramische Hecken, mit blauen Glasmurmeln assoziativ verschmolzene ‚Kyklopenbäume‘ und eine winzige Bilderwand mit berühmten barocken Picknickgemälden, ironisch mit bronzenen Rähmchen dekoriert.
Ingrid Roschecks szenenreiches und zum Schmunzeln anregendes keramisches Kunstwerk löst im unmittelbaren visuellen Dialog zur Parkgestaltung sicherlich mancherlei subjektive Empfindungen aus, darunter vielleicht auch jene, dass wir Modernen dem längst verloren gegangenen Paradies nur durch eine respektierende Begegnung mit der Natur versöhnlich nachspüren können.
Gerhard Kolberg
Vita
1957—————-geb. in Oberhausen
1976 -1982 ——-Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Alfonso Hüppi
1978/79———–Studium an der American University in Kairo
1982/83———–Stipendium der Akademie für das P.S.l in New York
1986—————-Stipendium Kunstfonds Bonn e. V.
1991—————-Transfer-Stipendium NRW/ DDR
1993 -1995——-Gastprofessur an der Kunstakademie Münster
seit 2005———-Lehrauftrag für Skulptur an der Universität zu Köln
Einzelausstellungen, Projekte (Auswahl)
2005—————- „Orte ° Wandlungen ° Zimmer ° Sphären ° Arbeitsplätze“,
————————Kunstmuseum Magdeburg und Niederrheinischer Kunstverein, Wesel
—————-——-(„Vorrat und Weltkammer“) und Galerie Art Engert, Eschweiler
———————–(„Speicher, Trabanten, Wünsche“) und Galerie Konrad Mönter,
———————–Düsseldorf („Selbstcontainer“) und Kapitelsaal Kloster Wenau
———————–(„RaumTeiler“) und Kunstmuseum Mülheim/Ruhr
2003/04———-Ursula-Projekt“, Internet + CD
2002—————„Arbeitsplatz“, Krefelder Kunstverein
2000—————„Orte, Geschehnisse, Nachrichten & Vehikel“, Shed, Köln
1999—————„Kiosk – Wegekapelle“, HausDerKunstKöln
———————-„Orte, Geschehnisse, Modelle, Vehikel, Entwürfe“, Museum Schottische
———————-Häuser, Veere
1998—————-St. Ursula-Basilika, Köln (im Rahmen von „Lieblingsort: Köln“)
1997—————-Gothaer Kunstforum, Köln (mit Heribert C. Ottersbach)
1996—————-Kunstverein Eislingen
1994—————-Mannheimer Kunstverein und Städtische Galerie Museum Regensburg
1988—————-„Arbeiten auf Papier“, Museum
———————–Morsbroich, Leverkusen
———————–Artothek Köln
1984—————-Art Cologne, Förderkoje, Galerie Rolf Ricke, Köln
1982—————-„Das Innere der Plastik“, P.S.l, New York
Gruppenausstellungen(Auswahl)
2003—————-„Herbarium der Blicke – Deutscher Künstlerbund“,
———————–Bundeskunsthalle Bonn
2002—————-„Keramik 2002″, Stadt. Galerie Offenburg
2000—————-„Niederrheinische Uferlosigkeit“, Projekt Michael Jäger,
———————–Museum Katharinenhof Kranenburg
———————–„Terra Arte“, Kunstverein Röderhof
1995—————-„Das Lied von der Erde – Kunst aus Keramik“,
———————–Bayerischer Kunstgewerbeverein, München
1991—————-„praemoderne“, Lübecker Str., Köln
— ——————–„Im Lärm der Stadt – Kunst im öffentlichen Raum“,
———————–Sprengel Museum, Hannover
———————-„Transfer“, Stadt. Galerie Schloß Oberhausen, ————————-
Kunsthalle Rostock
1989—————4. Triennale für Kleinplastik, Fellbach, Pecs
1985—————-„panorama anni 80″, Arte Fiera di Bologna
1983—————-P.S.l , New York (mit Rainer Barzen)
1982—————-„between 9″, Kunsthalle Düsseldorf
Adresse
Niehler Kirchweg 124
50733 Köln