Ein Park wird Zeit
Zu Klaus Osterwalds Klanginstallation „90 Jahre“
Kann man eine Landschaft und ihre Geschichte hören? Man könnte es zumindest versuchen, meint Klaus Osterwald, und geht mit seiner Klanginstallation im Vorge-birgspark einen Schritt dorthin. Ausgangspunkt für seine Arbeit ist das grafische Bild der Landschaftsarchitektur, die der Gartenarchitekt Hans Friedrich Encke hier 1909 entwarf und umsetzte. Osterwald hat für seine „akustische Zeichnung“ den letzten Teil des Prozesses rekonstruiert, der zur heutigen Parkarchitektur geführt hat. Er hat eine Planskizze des Parks gezeichnet und die Geräusche des in allen Richtungen über das Papier ziehenden Zeichenstifts mit mehreren, rund um den Skizzenblock angeordneten Mikrofonen aufgenommen. Im Park wird das akustische Notat der Zeichnung wieder hörbar durch Lautsprecher, die analog zur Position der Mikrofone bei der Tonaufnahme in der Landschaft positioniert worden sind. Osterwalds Installation ist von eindrücklicher Hintergründigkeit: Das Geräusch des Stifts, wie er über das Papier fährt, setzt zum einen die reale Parklandschaft in eine gedankliche Verbindung zu ihrer abstrakten Form als Zeichnung, die als unerlässliches konkretes Zwischenstadium zwischen dem Entwurf als geistiges Substrat des Architekten und der praktischen Ausführung liegt. Über dieses Spiel verschiedener Existenzebenen einer Landschaftsarchitektur hinaus schlägt die Installation eine Brücke zwischen den Zeiten: Im von Osterwald hörbar gemachten Nachvollzug des Zeichenvorgangs wird die Person Fritz Enckes in die Gegenwart transferiert. Die Geräusche des Stifts auf dem Papier verlieren angesichts der inzwischen über neunzig Jahre alten Parklandschaft in der Imagination des Hörers und Betrachters ihren Gegenwartsbezug: Die Phantasie kann vom bildhaften Eindruck des Parks hinausgleiten in eine zeitliche Schichtung, in der vor dem geistigen Auge der zeichnende Gartenarchitekt erscheint.
Und dies ist der Auftakt für eine weitergehende Mobilisierung der Vorstellungskraft: Mit der Gestalt ihres Schöpfers rückt die Gestalt des Parks plötzlich in den Fokus der Aufmerksamkeit: Der asymmetrische Grundriss der großen Spielwiese, die einzelnen Baumgruppen, die die große Fläche perspektivisch gliedern, das annähernd ovale Planschbecken im Osten, der Gehölzgürtel, der den gesamten Park gegen die städtische Umgebung abschließt, die geometrischen Schmuckpartien mit ihren leichten Architekturen im Süden und schließlich die Führung der geschwungenen Wege, die die Komposition und die Blickregie des Parks erfahrbar macht. Wie sind diese Formen des Parks eigentlich zueinandergekommen? Welche Kompositionsprinzipien hat Encke hier verwandt?
Und dann erscheinen andere historische Bilder, die frühere Besucher des Parks imaginieren. Für wen ist der Park gemacht worden? Welche Idee steckt eigentlich hinter der Anlage eines solchen Parks? Und es könnte Antworten geben, die sich mit der Geschichte des Stadtgrüns in der Großstadt beschäftigen, die den Vorgebirgspark in einen Zusammenhang mit anderen Kölner Parks wie den Klettenbergpark, den Hindenburgpark oder den Blücherpark bringen, die in der gleichen Zeit als Erholungsorte für die Stadtbevölkerung, als Frischluftschneisen und als Mittel zur Durchgrünung der Stadtlandschaft entstanden. Und es könnten die großen sozialen Ideale all der Enckes, der Stubbens und der Schumachers erscheinen, die in den grünen Flecken und den Gürteln um die steinernen Stadtkörper Kölns einen wichtigen Beitrag zur Besserung der sozialen und hygienischen Zustände sahen, die für viele Bewohner der Stadt galten und einem heutigen Zeitgenossen kaum mehr vorstellbar sind.
Und dann, ganz am Ende könnte man sogar mit Enckes Zeichenstift die ganze Sozialgeschichte des Volksparks rekonstruieren: Da meldet sich der „barfüßige Prophet“ Leberecht Migge zu Wort, John Claudius Loudon erzählt über seine Arbeit und ganz im Hintergrund wispert der alte Christian Cay Laurenz Hirschfeld noch einmal, was er schon 1779 schrieb: Dass die Volksgärten „ein wichtiges Bedürfnis des Stadtbewohners“ seien, denn „sie erquicken ihn nicht allein nach der Mühe des Tages mit anmuthigen Bildern und Empfindungen; sie ziehen ihn auch, indem sie ihn auf die Schauplätze der Natur locken, unmerklich von den unedlen und kostbaren Arten der städtischen Zeitverkürzungen ab, und gewöhnen ihn allmählich an das wohlfeile Vergnügen, an die sanftere Geselligkeit, an ein gesprächiges und umgängliches Wesen.“ Und schließlich gewönnen „die einzelnen Stände (…), indem sie sich hier mehr einander nähern, auf der einen Seite an anständiger Sittsamkeit und scheuloser Bescheidenheit, und auf der anderen an herablassender Freundlichkeit und mitleidender Gefälligkeit. All gelangen hier ungehindert zu ihrem Rechte, sich an der Natur zu freuen.“
Und all dies wird in diesen Tagen im Kölner Vorgebirgspark zum Leben erweckt, durch die Geräusche eines Zeichenstifts auf dem Papier, durch den Künstler Klaus Osterwald.
Andreas Denk
Vita
1946—————geboren in Oldenburg/Oldbg.
1970-75———-Studium an der Folkwangschule für Gestaltung, Essen
1982-83———-Wilhelm-Lehmbruck-Stipendium der Stadt Duisburg
1993—————Stipendium der Ludwig-Stiftung für Kunst und Internationale Verständigung in Kuba
1997—————Stipendium des Research Institute for Inter-Culture in Seoul/Südkorea
2002—————-Stipendium am Europees Keramisch Werkcentrum, s’Hertogenbosch/NL
Lebt und arbeitet in Köln
Adresse
Alteburger Wall 1
50678 Köln
Werke in öffentlichen Sammlungen
Kunstsammlung Nordrhein Westfalen
Städtisches Museum Leverkusen, Schloss Morsbroich
Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg
Sammlung Ludwig, Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen
British Library, National Sound Archive, London
Einzel- und Gruppenausstellungen