BILDGALERIE

blocco

Die Wirkung einer Skulptur hängt nicht allein von ihrer Form, ihrer Größe und dem Ort ihrer Aufstellung ab, sondern in entscheidendem Maße auch von dem Material, aus dem sie gefertigt ist. Selbstverständlich kann nicht jede Form in jedem beliebigen Werkstoff ausgeführt werden. Das Material macht klare Vorgaben und setzt dem gestaltenden Formwillen strenge Grenzen. Anja Hoinka hat sich mit ihrem dreiteiligen Beitrag zur „Vorgebirgspark Skulptur 2015“ für Wellpappe entschieden. Wellpappe ist in jeder Hinsicht das Gegenteil eines traditionellen Skulpturenmaterials. Wer sich als Bildhauer für Marmor, Bronze oder Stahl entscheidet, setzt damit, ganz unabhängig von Form und Motiv, einen „Ewigkeitswert“, d. h. die Summe aus Dauerhaftigkeit, Kostbarkeit und Repräsentativität. Wellpappe bietet nichts davon, sie ist zwar ein aufwendig hergestelltes industrielles Erzeugnis, dennoch preiswert, vergänglich, alltäglich – und damit ein ideales Material für eine temporäre, auf einen Tag begrenzte Skulpturenausstellung wie die „Vorgebirgspark Skulptur“.

Man kann das „arme“ Material Wellpappe durchaus auch „demokratisch“ nennen, denn jeder kennt es aus vielen alltäglichen Zusammenhängen, insbesondere aus seiner Verwendung als Verpackungsmaterial. Jeder weiß, wie es sich anfühlt, jeder hat schon Päckchen aus Wellpappe geöffnet, gefaltet, zerschnitten, zum Altpapiercontainer gebracht. Ihre Vertrautheit als Allerweltsmaterial ist genau das, was Wellpappe für Anja Hoinka so interessant macht und sie dazu herausfordert, ihr ungewohnte ästhetische Seiten abzugewinnen. Dem Umweltgedanken entsprechend, der sich bei der Aufstellung in einem öffentlichen Park geradezu aufdrängt, legt die Künstlerin Wert darauf, dass es sich bei der Pappe, die sie für ihre Skulpturen verwendet, um gesammeltes Recyclingmaterial handelt. Für ihren Beitrag zur „Vorgebirgspark Skulptur 2015“ kommt ausschließlich beigegraue, weitestgehend unbedruckte und von Aufklebern befreite Wellpappe zum Einsatz, und zwar die kompaktere und widerstandsfähigere zweiwellige Variante, die sich dadurch auszeichnet, dass zwischen drei glatten Papierdecken (Außen-, Innen- und Mitteldecke) zwei gewellte Papierbahnen unterschiedlicher Größe eingezogen sind.

Die Grundform, die sich zwanglos ergibt, wenn man die rechteckigen Pappflächen übereinander stapelt, ist ein Quader bzw. Block. Daher der italienische Titel „blocco“, der auf die blockhafte Grundform der

Skulpturen deutet, aber auch einen Zeichenblock meinen kann. Wellpappe ist im Grunde eine Leichtbaukonstruktion in Papier. Entscheidend ist dabei das Zusammenspiel von Form und Leerraum, von positivem und negativem Volumen.Diese im Material begründete räumliche Struktur spielt Anja Hoinka auf verschiedenen Ebenen konsequent durch und gewinnt ihr überraschende ästhetische Qualitäten ab. Zunächst erweitert sie das Miteinander von Form und Leerraum dadurch, dass sie die Wellpappebahnen nicht dicht stapelt, sondern nach je zwei Lagen immer zwei bzw. drei Lagen leer lässt, indem sie ebenfalls aus Wellpappe geschnittene Abstandshalter einfügt. So wird der Block leichter und offener und wird, je nach Betrachterstandpunkt, licht- und sichtdurchlässig. Mit der Thematik von Stütze und Last, die durch die Abstandshalter ins Spiel kommt, gewinnen die Blöcke eine gewisse architektonische Anmutung. Die Künstlerin hat sich dafür entschieden, ihre Arbeiten auf bzw. vor der Mauer zu positionieren, die den Rosengarten vom Staudengarten trennt. Farblich und strukturell wird so ein Zusammenhang zwischen den Skulpturen und den Architekturelementen des Parks, d. h. dem Mauerwerk und den Treppenaufgängen, geschaffen.

Die entscheidende Formung erfahren die Arbeiten dadurch, dass Anja Hoinka jede einzelne Pappfläche so zugeschnitten hat, dass sich in der Summe auf der Schauseite eine figürliche Darstellung ergibt. So lässt die waagerecht ausgebreitete Skulptur in Frontalansicht die Silhouette einer abstrahierten, entspannt am Boden liegenden Frau erkennen, ein typisches Motiv klassischer Park- und Gartenskulptur. Die beiden vertikalen, je ca. 240 cm hohen Arbeiten zeigen alltägliche Motive, einen lässig mit einem Arm angelehnten, stehenden Mann und eine mit Taschen bepackte Frau. Die Figuren bleiben rein virtuell, bloße Hohlformen, deren Konturen sich, je nach Blickwinkel, deutlich darstellen oder aber bis zur Unlesbarkeit auflösen. Die beiden Standfiguren sind soweit ausgehöhlt, dass sich die Parkbesucher sogar in die Wellpappformen hineinstellen und damit Teil der Arbeiten werden können. So gelingt der Künstlerin mithilfe des ungewöhnlich-gewöhnlichen Bildhauermaterials Wellpappe die Umkehrung von positiver Skulptur im Raum in eine negative Form im Inneren der Skulptur und ermöglicht mit ihr zugleich einen ungewohnt direkten, körperlichen Kontakt zum Betrachter.

Peter Lodermeyer

VITA

1965                 geboren in Worms
1965                 lebt und arbeitet in Köln

1984 – 1985   Studium an der Kunstakademie Münster bei Jochen Zellmann, Inge Mahn und Johannes Brus
1985 – 1992   Studium an der Kunstakademie Münster bei Reiner Ruthenbeck
1992          —    Meisterschülerin bei Reiner Ruthenbeck, Akademiebrief

Auszeichnungen / Stipendien
1987                 Förderpreis der Kunstakademie Münster
2014                 Jakob Eschweiler-Stiftung, Köln

Einzelausstellungen
1993                 Galerie am Wasserturm, Konstanz
1996                 Objekte und Zeichnungen, Wilhelm-Morgener-Haus, Soest
1996                 Förderverein Aktuelle Kunst e.V., Hermannstadtweg, Münster
1999                 Mannheimer Kunstverein, mit Bernd Ikemann
2001                 Kanten und Ecken, Galerie Peter Tedden, Düsseldorf, mit Bernd Ikemann
1996                 Raumskizze, in situ, Ausstellungsraum Städtische Bühnen, Münster
2002                 Raumzeichnung, gucki, Künstlerzentrum Eupener Straße, Köln
2004                 Perspektivwechsel, Haus Herpel, Pulheim
2005                 gerade-wegs, Rathaus Pulheim
2009/10    –    Herbstausstellung, Girlitzweg, Köln
2012                 b o x e n , feminin plural, Rathaus Pulheim

Ausstellungsbeteiligungen ( Auswahl; K = Katalog )
1987                 Deutsche Bank Gronau
1996                 Förderpreisausstellung, Kunstakademie Münster
1988                 Köln Kunst, Josef-Haubrich-Kunsthalle, Köln, (Gemeinschaftsarbeit mit u.a. P. Mönnig)
1989                 Biotope – Ferne – Kontinente, RESI-Gewerbepark Nürnberg (veranstaltet von H. P. Miksch, Kunsthaus Nürnberg), (K)
1996                 Galerie Näke, Nürnberg
1991                 Restraum, Münster, (K)
1992                 Tische, Stühle, Garnituren, Galerie Stefan Rasche, Münster, (K)
1993/94       Ida Gerhardi Preis 1994, Städtische Galerie Lüdenscheid
1996                 Auswahl – 17 Bewerbungen zum Kunstpreis Münsterland 1994,
1996                 Kolvenburg Billerbeck, (K)
2000                 Kunst und Suppe, Förderverein Aktuelle Kunst e.V., Münster
2002                 Tor, Galerie Peter Tedden, Oberhausen, (K)
1996                 Gastspiel, mit Lutz Fritsch, Künstlerzentrum Eupener Straße, Köln
2003                 KUNSTKÖLN, Galerie Peter Tedden
1996                 Projekt Leuchtturm, Künstlerzentrum Eupener Str., Köln
1996                 Schöne Bescherung, gucki, Köln, (mit B. Ikemann und W. Lindfeld)
2004                 Ende offen, Künstlerzentrum Eupener Straße, Köln
2006                 basement XII, Liverpool, (K)
2007                 Zwei Straßen weiter zwei, Schulstraße, Münster
2012                 Neuerwerbungen für die WGZ Bank Kunstsammlung, WGZ Bank, Düsseldorf
2012                 Wochenende, Schulstraße, Münster

Werke in Sammlungen

WGZ Bank Düsseldorf

Stadt Pulheim