BILDGALERIE

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Der Künstler Christian Sievers hat aus gelbem Absperrband, auf dem in schwarzen Großbuchstaben fortlaufend das Wort CYBER steht, eine Spirale konstruiert. Bringt er so ein Stück des Cyberspace in den Vorgebirgspark Köln? Ist das ironisch gemeint? Aber ja – und zugleich viel mehr als das. Das Absperrband erinnert an Tatorte oder Unfallstellen, die von der Polizei abgeriegelt werden. Doch bei Sievers fordert das Band die Besucher als eine Art Wegführung geradezu zum Betreten der Installation auf. Das CYBER-Band wird insbesondere im Umfeld der Hacker-Szene als eine Art Scherzartikel gehandelt. Denn die Vorstellung, man könnte im Netz wie im Realraum Grenzen ziehen und bestimmte Bereiche gegen andere absperren oder isolieren, ist absurd. Der Wortteil „Cyber“ entstammt ursprünglich dem von Oswald Wiener geprägten Kunstwort „Kybernetik“ als Name für eine Wissenschaft der (Maschinen-)Steuerung. Es wird heute inflationär benutzt für alles, was mit Computern und Internet zu tun hat: Cybersex, Cyberspace, Cyberwährung, Cyberattacke, Cybermobbing … Der unreflektierte Wortgebrauch, auch von Journalisten und Politikern, verrät oft Unkenntnis der technischen Gegebenheiten oder deutet auf die bewusste Verschleierung der ökonomischen, politischen, infrastrukturellen, militärischen, sicherheitstechnischen usw. Zusammenhänge rund ums Netz.

Das von Christian Sievers aufgespannte, ungefähr 180 Meter lange leuchtendgelbe Absperrband wird von insgesamt 108 schwarz gestrichenen, in den Boden gesteckten Vierkanthölzern in einer Höhe von etwa 110 Zentimetern über dem Boden gehalten. Sein Ausgangspunkt ist der von hohen Linden gesäumte Baumhof des Vorgebirgsparks. Von da verläuft es in einer einladenden Kurve zwischen den fest installierten Tischtennisplatten hindurch, über einen Gehweg hinweg und auf die große Parkwiese hinaus. Dort setzt es die flache Rechtskurve fort, bevor es unversehens in eine enge, gegen den Uhrzeigersinn verlaufende, achtfach gewundene Spirale mündet.

Sievers gehört zu den Künstlern, die den Umgang mit dem Internet und elektronischen Medien als wichtigen Teil unserer heutigen Lebenswelt in ihre Arbeit einbeziehen. Dadurch verändert sich der Begriff der Skulptur unvermeidlich. Es geht dann nicht primär um die gelungene, stimmige oder „schöne“ Formung eines Materials, sondern vorrangig um die Formierung von Verhalten, Erfahrungen und Erkenntnisprozessen. Folgerichtig ist die Beteiligung des Publikums für Sievers von besonderer Bedeutung. Bei ihm wird jedoch der Begriff der Partizipation, der einmal für die Teilhabe, Emanzipation und den Freiheitsraum des Betrachters stand, selbst hinterfragt.

Die „Ausübung von Zwang im Werk spiegelt (…) den Modus wider, in dem partizipiert wird. Es ist zwar denkbar, sich zu verweigern, aber nur zum Preis der Selbstmarginalisierung. ‚Freiwilligkeit’ bekommt einen hohlen Beiklang“, schrieb Sievers anlässlich seiner Arbeit „Übung“ von 2016, in der bereits ein Absperrband zum Einsatz kam.

Die CYBER-Spirale im Vorgebirgspark führt diesen Zwang anschaulich vor. Zunächst muss man als Besucher entscheiden, ob man dem Band folgen und sich in die Spirale hineinbegeben möchte oder nicht. Wer außen bleibt, entscheidet sich für die Rolle des Zuschauers, wird dann aber die spezifischen Erfahrungen nicht machen, die dieses Werk bereitstellt. Wer sich in sie hineinwagt, wird selbst Teil der Arbeit und dementsprechend von außen beobachtet. Man kann links oder rechts des Bandes entlanggehen. Wer rechts bleibt, muss eine Extrarunde außen herum zurücklegen, bevor er/sie in die Spirale eintritt. Zu den Erfahrungen innerhalb der Spirale gehört die Erkenntnis, in eine Art Falle gelockt worden zu sein. Wer den langen Weg in die Spiralmitte absolviert hat, muss zuletzt ja auch wieder zurück. Wenn mehrere Personen zugleich unterwegs sind, kommt man sich unvermeidlich in die Quere, muss ausweichen und sich darüber verständigen, wie man aneinander vorbeikommt. Das kann zu Staus und Stockungen kommen, vielleicht auch zu Spannungen. Auch ist es immer möglich, dass einzelne Besucher entscheiden, die ungeschriebenen Spielregeln zu brechen und zum Beispiel unter dem Band hindurchzuschlüpfen. Der Gang durch die Spirale hat ein Ziel: In der Mitte befindet sich am Boden ein Abspielgerät, aus dem in Endlosschleife ein schmissiger, ja, fröhlicher Militärmarsch im Sechsachteltakt tönt. Es handelt sich dabei – kein Witz – um den „Cyber Marsch“ (sic), der nach Auskunft der Pressestelle der Bundeswehr am 5. April 2017 „auf dem Indienststellungsappell des Kommandos Cyber- und Informationsraum“ zur Uraufführung kam. Musikalisch tief im 19. Jahrhundert steckend, soll er dennoch in die Zukunft weisen und „die Aufbruchstimmung und den visionären Tatendrang des neuen Kommandos“ bezeichnen. Laut einem Bericht im Deutschlandfunk werden diese „Cyber- Krieger (…) neben Heer, Luftwaffe, Marine zu einer eigenen Waffengattung“. Grund genug, sich einmal darüber zu informieren, was mit „rechnergestützten Kampfhandlungen“ gemeint ist. Mit der Fröhlichkeit ist es dann schnell vorbei: der Cyber-Krieg steht der atomaren Bedrohung des Kalten Krieges in puncto Schrecken in nichts nach. Christian Sievers’ Installation kommt humorvoll daher und macht den Besuchern Beine, um sie dann umso enger in die akuten Fragen der Digitalisierung zu verwickeln.

 

– Peter Lodermeyer –

VITA

Christian Sievers

 

1974                geboren in Braunschweig

2001 – 2003    MA Sculpture, Royal College of Art, London

1996 – 2001    Hochschule für Bildende Künste Braunschweig

Stipendien

2002                DAAD-Stipendium für Großbritannien

2001                Royal College of Art Stipendium

1999                Stipendium, Studienstiftung des deutschen Volkes (bis 2003)

Einzelausstellungen und Projekte (Auswahl)

2016                Übung #2, Performance, Bundeskunsthalle Bonn

2015/16             Hop 3, öffentlicher Raum, Köln, hop3.de

2014                Übung, Performance, Bundeskunsthalle Bonn

2009                den Ausnahmezustand proben, Kunstverein Wolfenbüttel

2008                Freundschaft in der Feuerwehr, Clarke Gallery, Berlin

2006                Does the Show Need to Go On? The Trade Apartment, Brixton, London

2006                On Look But Don’t Touch, Display Gallery, Prag

2002-12             On Weapons & Fun, On Sleeping in Public & Being Cautious, On Pets &

               -12200Pests, Tough Guys and Soft Guys, On Look But Don’t Touch, Does the Show

               -12200Need to Go On? Vorlesungs-Performances in London, Edinburgh, Berlin,

               -12200Montenegro, Dublin, Köln

2002                Free Henna Tattoos, Nebenraum & Alexanderplatz, Berlin

Gruppenausstellungen und Projekte (Auswahl)

2017                Fiber and Liquids, fiberandliquids.tv

2017                The Real Estate Show Extended, Berlin

2017-19             GLOBAL CONTROL AND CENSORSHIP, Tallinn, Žilina, Riga, Vilnius, Warschau, Prag, Budapest

2017                New Media, BACC Bangkok

2015/16             GLOBAL CONTROL AND CENSORSHIP, ZKM Karlsruhe

2014                Neue Kunst in alten Gärten, Lenthe

2013                Il muro d’Europa, San Sperate, Sardinien

2011                Wunderkammer, Birmingham

2010                no food no drink no sticky lollies, STATTBAD Wedding, Berlin 2009

2009                Luleå Art Biennial, Schweden

2008                Glück gehabt! Kunst im Untergrund, NGBK Berlin

2008                Fusion, Tashkeel Arts Centre, Dubai

2007                Art for Rent, DUCTAC, Dubai

2007                Your Words in My Mouth, Hospitalfield House, Arbroath, UK

2007                who is your friends? / the soap operas, Soap Gallery, Kitakyushu, Japan

2006                London Architecture Biennale

2005                DO NOT INTERRUPT YOUR ACTIVITIES, CCA, Royal College Of Art, London

2004                PUBLISH AND BE DAMNED, Cubitt, London

2002                Es darf auch geschossen werden, Postfuhramt, Berlin

christiansievers.info