BILDGALERIE

"Des Dieners Hoheit"

Der Baumhof ist der am wenigsten markante der vier Sondergärten des Vorgebirgsparks. Sein Hauptmerkmal sind die im Karree stehenden Linden, zwischen denen sich der Baumhof als offenes, gut überblickbares Areal präsentiert. Eine gewisse Gliederung verleihen ihm lediglich drei fest installierte Tischtennisplatten und zwei Drahtgitterbänke, von denen aus man einen weiten Blick zwischen den Baumstämmen hindurch auf die große Rasenfläche im Westteil des Parks werfen kann. Diesen strukturarmen Raum des Baumhofs hat sich Hannah Schneider vorgenommen, um ihn durch einen präzisen Eingriff zu verändern und so neu erfahrbar zu machen. Die in Köln lebende Künstlerin arbeitet häufig orts- und situationsbezogen und hat bereits verschiedene Arbeiten im öffentlichen Raum realisiert. Ihr Anliegen ist es, einem Ort mit seinen speziellen Raumgegebenheiten durch gezielte künstlerische Interventionen mehr Stringenz zu verleihen, ihm etwas hinzuzufügen, was seinen besonderen Charakter in die Sichtbarkeit und damit ins Bewusstsein hebt. Auch im Baumhof des Vorgebirgsparks greift sie gezielt auf, was dieses Areal im räumlichen Kontext der Parkanlage besonders kennzeichnet.
Der Baumhof ist ein Durchgangsraum, der mit seinem in gerader Achse verlaufenden Gehweg den Immergrünen Garten und den Rosengarten miteinander verbindet. Gleichzeitig kommt ihm die Funktion einer Schwelle zu, da an seinem oberen Ende, von der Kreuznacher Straße her, einer der meistgenutzten Zugänge zum Park liegt. Diesen beiden Merkmalen des Baumhofs – Durchgangsraum zu sein und einen Übergang zwischen Wohngebiet und Parkraum zu bieten – wird Hannah Schneider mit ihrer raumgreifenden, insgesamt 72 Meter langen, hufeisenförmig geöffneten Skulptur gerecht. Es handelt sich um eine Arbeit, die man als Betrachter nicht nur sehend, sondern vor allem gehend erfasst. Aus der Bewegung heraus wird der topographische Charakter des Baumhofs für die Parkbesucher akzentuiert.
Am Scheitelpunkt der linearen Skulptur von Hannah Schneider wird die Schwellensituation im Übergang vom Wohngebiet in die künstliche Natur der Parklandschaft besonders markiert und ins Bewusstsein gehoben. Wer sich am 2. September 2018 von der Kreuznacher Straße her in den Baumhof begibt, wird vor einem ungewohnten Anblick stehen. Quer zur Eingangsrichtung hat die Künstlerin ein Holzgeländer angebracht, das wie eine Brüstung dazu verleitet, stehenzubleiben und einen Blick in das offene Gelände des Baumhofs und das in der Raumtiefe hinter den Bäumen liegende Areal zu werfen. Hier wird für den aufmerksamen Betrachter die Wahrnehmung der gestaffelten Raumsituation im Park geschärft. Hannah Schneider hat dafür einen Handlauf angefertigt, der in regelmäßigen Abständen durch Stahlrohre gestützt wird. Dieser hölzerne, dunkel gebeizte Handlauf lädt mit seiner

glänzend lackierten Oberfläche, die ihm die Patina langen Gebrauchs verleiht, zum Anfassen ein.

Wer sich nun, von der Kreuznacher Straße her, an dieser Führung entlang, die hier in der üblichen Geländerhöhe von etwa 90 Zentimetern über dem Boden verläuft, im Bogen entweder nach links oder rechts in den Baumhof begibt, wird schnell feststellen, dass das Areal hier zwar deutlich abfällt, dass das „Geländer“ dieser Senkung aber nicht folgt, sondern als konstant horizontal verlaufende Struktur eine gleichbleibende Höhe beibehält. Das bedeutet, dass der Handlauf, je weiter man geht, scheinbar immer höher, auf Schulter-, auf Augenhöhe und über den Kopf hinweg ansteigt.

So kann man im körperlichen Bezug zu der Skulptur die Topographie des Baumhofs mit seinen Höhenunterschieden unmittelbar wahrnehmen. Zuletzt, an der Stelle, an der die lineare Skulptur mit ihren beiden Endpunkten genau an den in der Längsachse der Sondergärten verlaufenden Gehweg stößt, befindet sich der Handlauf, der an dieser Stelle jedoch kaum noch mit den Händen berührt werden kann, etwa 2,20 Meter über Bodenniveau. Am unteren Ende stellt sich die von Hannah Schneider installierte Arbeit als eine Folge von Durchgängen dar. Die am obersten Punkt in der dienenden Zweckform eines Geländers begonnene Skulptur hat sich unterwegs in die zweckfreie Würdeform einer extrem filigranen Arkade verwandelt.

Der zunächst schwer verständliche Titel „Des Dieners Hoheit“ wird damit plausibel. Aus einigem Abstand betrachtet, erscheint der Handlauf als eine den Baumhof elegant durchziehende Raumkurve, als eine Volumen ausmessende raumzeichnerische Akzentuierung dieses Parkteils und seiner Wegführung. Die Arbeit von Hannah Schneider wirkt in der Summe durch das, was der Schweizer Kunsthistoriker Oskar Bätschmann einmal als „Erfahrungsgestaltung“ bezeichnet hat: Sie wird nicht allein visuell wahrgenommen, sondern körperlich, in der Bewegung erfahren – und mit ihr der sie umgebende Raum.

– Peter Lodermeyer –

VITA

1984 geboren in Filderstadt, lebt und arbeitet in Köln
2007 – 2009 Meisterschülerstudium, HfBK Dresden bei Prof. Großarth und Prof. Brandmeier
2002 – 2006 Studium der Bildhauerei, Alanus Hochschule bei Bonn
Preise / Förderungen
2017 Realisierung Kunst im öffentlichen Raum, BBK Leipzig
2014 Alanus Preis für Bildende Kunst
2013 Deutsch-Französischer Kunstpreis, Contemporary
2011 Rhenania Kunstpreis
2010 Katalogförderung, Debütantenförderung des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst
2009 Atelierförderung der Stadt Bonn, Atelierhaus Bonner Kunstverein, bis 2014, Stipendien
2018 Projektstipendium, Stiftung Künstlerdorf Schöppingen
2017 Werkstipendium, Onomato Künstlerverein und Kulturamt Düsseldorf
2016 Artist in Residence, Kvartier minne-colson, Hasenmoor
2014 Artist in Residence, das weisse haus, Wien
2012 Artist in Residence, Marti-Clerici-Foundation, Montevettolini
2010 Artist in Residence, european art project, Amsterdam, Einzelausstellungen
2018 Lokalfragmente, Matjö, Raum für Kunst, Köln
2017 Fliehkräfte in Rien ne va plus?, Künstlerforum, Bonn
2016 Orbit, Museum Füssen
2015 Gegenhall, Museum Siegburg (Katalog), Stadt Park Platz, Destination 2015, Showroom for Young Art, Galerie Hrobsky, Wien
2014 Clouth, Forum de I´Hôtel de ville, St.Louis, Arpenter le Rhin / Bäuchlings auf dem Rhein, Temple Neuf, Strasbourg
2013 Contemporary 2013, Paul-Clemen-Museum, Institut für Kunstgeschichte der Universität Bonn, Galion, Kunstverein Linz e.V., Linz am Rhein
2012 Moment Monuments, Bayenwerft Kunsthaus Rhenania e.V., Köln (Katalog)
2011 Baden gehen, Showroom for Young Art, Galerie Hrobsky, Wien
2010 Canoe Cut, mit Muyan Lindena, Galerie BMB, Amsterdam (Katalog), Hannah Schneider, Arbeiten 2006 – 2010, Kunsthalle Kempten (Katalog), Die kleine Freiheit,  Kunstmuseum Kempten
Projekte
2018 Pulsing light, Lichtkunstnacht, Schöppingen
Des Dieners Hoheit, Vorgebirgsparkskulptur, Vorgebirgspark Köln
2017 Shine – Glanz für Nikolai, Kunst im öffentlichen Raum, Nikolaikirche Torgau
2016 Nicht mehr mein liebstes Ich, Bühneninstallation, Theater Pumpenhaus, Münster

www.hannahschneider.com

In Zusammenarbeit mit Muyan Lindena, Bildender Künstler und Designer
vwww.muyan-lindena.de