BILDERGALERIE

vanitas

Der Titel, den Heike Weber ihrem Beitrag zur Vorgebirgspark Skulptur 2022 gibt, ist überraschend. Das lateinische Wort vanitas meint die Vergeblichkeit, Eitelkeit und Vergänglichkeit aller irdischen Dinge, nicht zuletzt des menschlichen Lebens. Als künstlerisches Thema begegnet uns der Vanitasgedanke im Kontext der zeitgenössischen Kunst eher selten. Seine große Zeit hatte er im 17. Jahrhundert, dem Zeitalter des Barock, in dem gewaltige gesellschaftliche Umwälzungen, nicht zuletzt der ganz Europa traumatisierende Dreißigjährige Krieg, zu einem intensiven Bedenken der Endlichkeit aller Dinge führten. So passt es hervorragend, dass Heike Weber ihre Skulptur im Immergrünen Garten platziert hat, dem nördlichsten der vier Sondergärten des Vorgebirgsparks, der mit seiner symmetrischen Anlage, den ehemals mit Skulpturen bestückten Sockeln und den Sitznischen deutliche Anklänge an barocke Stilmerkmale erkennen lässt. Heute wird dieser Parkteil besonders von zwei Reihen üppig gewachsener Eiben geprägt. Eiben aber sind seit jeher Todessymbole und daher häufig auf Friedhöfen anzutreffen – zu Heike Webers eigenwilliger Umsetzung des Vanitasthemas passt dies hervorragend. Aus der Kunstgeschichte kennt man zahlreiche Vanitassymbole, neben Totenschädeln vor allem prachtvolle Blumen, die bald verwelken, brennende Kerzen, die demnächst verlöschen, oder auch Seifenblasen, die in perfekter Kugelform farbig schillernd daherschweben, aber nächstens zerplatzen. Heike Weber hat als Künstlerin ein altbekanntes, Kindheitserinnerungen weckendes Motiv für sich entdeckt und dessen Vergänglichkeitspotenzial erschlossen: den Schneemann. Bereits 2005 fertigte sie im italienischen Olevano Romano mithilfe eines Kühlfachs sechs Schneemänner an, die sie dann in der südlichen Sonne schmelzen ließ. Den Schmelzvorgang hat sie filmisch festgehalten. Und 2010 baute sie in Düsseldorf mitten im Sommer, zur Freude der anwesenden Kinder, einen gut drei Meter hohen Schneemann aus künstlich erzeugtem Schnee, dem freilich auch nur eine kurze Lebenszeit beschert war. Für ihren Beitrag zur Vorgebirgspark Skulptur 2022 griff Heike Weber auf diese Idee zurück, hat sie aber zugleich erweitert und konzeptuell geschärft. Was sie mitten im Immergrünen Garten platziert hat, ist kein Schnee-Mann, sondern eine Eis-Frau – und zwar handelt es sich bei dieser lebensgroßen, kerzengerade stehenden Figur in enger Hose und langärmeligem Shirt, die mit an den Körper gepressten Armen, geschlossen Augen und barfuß vor ihren Betrachtern steht, um nichts anderes als das Selbstporträt der Künstlerin. Die Füße werden – eine Anspielung auf

den vormaligen Brunnen, vielleicht auch eine ironische Reminiszenz an die Venus-Ikonographie– von einer Muschel umfangen, um ihren Hals ist eine schwere Kugelkette gelegt, was ein wenig an die Selbstbildnisse von Paula Modersohn-Becker mit ihrer geliebten Bernsteinkette erinnert. Es ist allerdings die Frage, ob „Selbstporträt“ das korrekte Wort für diese Eisskulptur ist, denn sie wurde auf der Grundlage eines digitalen Körper-Scans, den die Künstlerin von sich hat anfertigen lassen, von dem Eisbildhauer Joachim Knorra aus dem Sauerland gefertigt.

Heike Weber schlüpfte mithin in die Doppelrolle der konzeptionellen Autorin des Werks und zugleich des Modells für die Arbeit des Eisbearbeitungs-Spezialisten, was ihrer Skulptur eine spürbar persönliche Note verleiht. Die Eisfigur ist im Rondell in der Mitte des Immergrünen Gartens positioniert, im Zentrum des Wegekreuzes, also genau dort, wo nach der Idee des Gartenarchitekten Fritz Encke, der den Vorgebirgspark in den Jahren kurz vor dem Ersten Weltkrieg geplant und eingerichtet hat, einst ein kreisrund eingefasster Springbrunnen stand, den man auf alten Fotografien des Parks noch sehen kann. Wo früher das Wasser lebendig in hohem Bogen in die Luft schoss, steht nun also ganz still und starr Webers eisiges Ebenbild und gibt langsam das Schmelzwasser an den Erdboden ab. Aufgrund der Farblosigkeit des klaren Eises ist die Figur zwar physisch präsent, greifbar nah, und wirkt doch zugleich irreal, abstrakt, merkwürdig entrückt. Den historischen Vanitasbildern ist ein eigenartiger Selbstwiderspruch eingeschrieben. Wenn man sich zum Beispiel den Totenkopf anschaut, den Hans Memling um 1470 auf die Rückseite seines Johannesund-Veronika-Diptychons malte und mit der Inschrift „MORIERIS“ („du wirst sterben“) versah, dann wissen wir zwar, dass der Maler seit gut 500 Jahren tot ist – sein Gemälde aber ist auf Dauer gestellt und will partout nicht vergehen. Heike Weber greift diesen Widerspruch bewusst auf und umgeht ihn, indem sie nicht mit Symbolik arbeitet, sondern ganz konkret und direkt vorgeht und als bildhauerisches Material Eis wählt, das sich, mitten im September ins Freie verbracht, unweigerlich vom ersten Moment seiner Platzierung an auflöst. Vergänglichkeit wird mithin nicht zeichenhaft suggeriert, sie ereignet sich unmittelbar und wird damit in Echtzeit erlebbar – und dies umso eindringlicher, als wir, die Parkbesucher und –be-sucherinnen, die eigenartige Erfahrung machen können, uns mit der Künstlerin, die quicklebendig über ihre Arbeit wacht, zu unterhalten, während ihre kühle, farblose Doppelgängerin langsam dahinschmilzt.

– Peter Lodermeyer –

VITA

Heike Weber

Geboren 1962 in Siegen, lebt und arbeitet in Köln

1981–86       Studium an der FH Aachen, Visuelle Kommunikation

1993/94       Gastdozentur an der Glasgow School of Art, Department Environmental Art, UK

ab 1997       Zusammenarbeit mit den Galerien Rasche Ripken Berlin, Lisi Hämmerle und Martina Detterer

Stipendien (Auswahl)

2021             cityARTist Cologne, Kunstpreis des NRW Kultursekretariats

2020             Luise-Straus-Preis, Frauenkulturpreis für Bildende Kunst des Landschaftsverband Rheinland

2013             Katalogförderung der Stiftung Kunstfonds

2006             Transfer-Stipendium, Türkiye-NRW, NRW Kultursekretariat

2005             Casa Baldi Stipendium des Bundes, Olevano Romano, Italien

2004             Stipendium der Barkenhoff-Stiftung Worpswede, Künstlerhäuser Worpswede

Artist in Residence, The Chinati Foundation, Marfa, Texas, USA

2002             Schloss Ringenberg Stipendium des Landes NRW

2001             Arbeitsstipendium des Kunstfonds Bonn

seit 2011      internationale Kunst am Bau Projekte in Zusammenarbeit mit Walter Eul

Einzelausstellungen (Auswahl)

2022             Ambiopia, Rheinisches Landesmuseum Bonn, Luise-Straus-Preis (K)

Die Welt ist Klang*, Magazin 4, Städtische Galerie, Bregenz, AT (mit Walter Eul)

2021             treasure, kjubh Kunstverein, Köln (mit Walter Eul)

2016             23, Museum Villa Zanders, Bergisch Gladbach (K)

2014             park, Kunstverein Ludwigshafen

2012             kilim, Burgkapelle im Museum Moderne Kunst Kärnten, Klagenfurt, AT

2009             kilims a la turka, Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg (mit Fatih Kurceren) (K)

2006             BODEN LOS, Foyeristallation in der Kunsthalle Wien, A

2004             barocco, Museum Morsbroich, Leverkusen (K)

2003             Zeichnung heute IV, Kunstmuseum Bonn (mit Malte Spohr und Thomas Müller) (K)

Gruppenausstellungen (Auswahl)

2022             Vorgebirgspark-Skulptur, IG Kunst im Park, Köln

Hängepartie, Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt (K)

2020             Blumensprengung –Künstlerinnen der Sammlung Ludwig, Lufo, Aachen (K)

2019             Silhouettes and Shadows, Kerava Art Museum, Helsinki, Finnland

2018             sexy and cool, Expressiver Minimalismus in der Kunst, Kunsthalle Tübingen (K)

2016             on surface, Lehmbruck Museum, Duisburg (K)

drama queens, Museum Morsbroich, Leverkusen

2015             spaceliner, ARTER, Istanbul, TR (K)

2013             ICASTICA 2013, Installation in der Basilica S.Francesco, Arezzo, IT (K)

2012             Die Eroberung der Wand. Nazarenerfresken im Blick der Gegenwart, Arp Museum, Remagen (K)

2010             Wir sind Orient – Zeitgenössische Arabesken, Marta Herford (K)

2004             Gegen den Strich, Kunsthalle Baden-Baden (K)

in erster Linie…, Kunsthalle Fridericianum Kassel (K)

2003             Die Sehnsucht des Kartografen, Kunstverein Hannover (K)

 

www.heikeweber.net

Mit besonderem Dank an das Eiskunstatelier Joachim Knorra (www.ekjk.de) für die bildhauerische Leistung

und Walter Eul für die Erstellung der Photoshop-Simulationen und seine wunderbare Hilfe.

Titelbild: Sommerfrische, 2010. 2,5 Tonnen Schnee, Schrebergartensiedlung Düsseldorf-Oberkassel.