BILDERGALERIE

extension #1

Wenn man sich historische Aufnahmen des Vorgebirgsparks anschaut, den der Gartenarchitekt Fritz Encke in den Jahren 1910 bis 1914 plante und realisierte, staunt man über den Springbrunnen, die üppig bepflanzten Blumenrabatten und die Rosenlauben, die den Park einst schmückten. Nach zwei Weltkriegen und zahlreichen Veränderungen im Kölner Stadtbild hat sich sein Aussehen deutlich vom ursprünglichen Zustand entfernt, ist vergleichs-weise karg und schlicht geworden. In den letzten Jahren haben heiße und trockene Sommer überdies dafür gesorgt, dass der Zustand der Bäume, Hecken und Grasflächen gelitten hat. Die Folgen des Klimawandels, so scheint es, sind also auch hier kaum zu übersehen. Genau hier setzt der Beitrag von Nicola Schudy für die Vorgebirgspark Skulptur 2022 an.

Ihre Arbeit mit dem Titel „extension #1“ hat sie bewusst nicht prominent auf eine der Grundflächen der vier Sondergärten des Parks platziert, sondern dezentral an der Grenze zwischen Baumhof und Immergrünem Garten. Diese Grenze wurde durch eine dichte Buchenhecke markiert, die an einer Stelle unterbrochen war, um einen schmalen Eingang zu dem tiefer gelegenen Gelände des Immergrünen Gartens zu schaffen. Aufgrund der Heckenein-fassung war dieser nördlichste Sondergarten des Parks stets als separater, ein wenig verwunschen wirkender Ort zu erleben. „Wurde“ und „war“, denn in wenigen Jahren ist die Hecke schütter, stellenweise ziemlich löchrig geworden. Einige der Buchen sind infolge der anhaltenden Trockenheit abgestorben, statt dichter Belaubung ist dort nur noch das knorrige Skelett ihrer Stämme und Zweige zu sehen.

An diesen wunden Punkt der Parkbepflanzung hat Nicola Schudy eine komplexe, filigrane Struktur aus zahlreichen schlanken, weiß gestrichenen Konstruktionshölzern gestellt. Wie ein vielteiliges Gerüst oder die Trägerstruktur eines Regals mit unterschiedlich hohen Partien, stellenweise 2,50 Meter  hoch, ist die Skulptur so in die marode Hecke eingepasst, dass die natürlichen und die künstlichen Formen in Kontakt zueinander treten und dabei doch deutlich ihre grundlegenden Unterschiede erkennen lassen. Durch die Gleichzeitigkeit von räumlicher Nähe und formalem Kontrast ergibt sich der spezifische ambivalente Reiz dieser Arbeit. In einer vorbereitenden Notiz zu ihrer Skulptur hat die Künstlerin selbst von einem „ungeklärten Zustand“ gesprochen, der „zwischen Tristesse und Romantik, Umbau und Musealisierung oszilliert.“ Diese Ambivalenz verbindet sie mit Silke Brösskamps Skulptur „Nichts war schöner“ im Wasserbecken des Rosengartens. Die beiden Künstlerinnen haben ihre jeweiligen Beiträge im Austausch miteinander konzipiert, sodass diese formal und inhaltlich miteinander korrespondieren.

Die streng horizontal-vertikal verfasste Grundstruktur von Schudys Arbeit hat eine unübersehbar minimalistische Anmutung – man denke etwa an die offenen, ebenfalls weiß lackierten Kuben des amerikanischen Künstlers Sol LeWitt. Schudy zitiert die minimalistische Formensprache öfters in ihrer Arbeit, bricht aber stets mit deren Ästhetik perfekter, selbstgenügsamer, autonomer Objekte im Raum.

In ihren situationsbezogenen Installationen und Interventionen reagiert sie auf die vorhandenen Räumlichkeiten, kontaminiert die strenge Formgebung gewissermaßen mit den Eigenschaften und Defiziten der Gegebenheiten vor Ort – so auch im Vorgebirgspark.

Wie die Buchen bestehen auch die modularen Bauteile der Skulptur aus Holz, jedoch sind diese so stark mit Farbe bedeckt, dass sie einen überaus künstlichen Charakter annehmen. Der Kontrast zur Naturform wird durch die strenge Geometrie der Konstruktion noch verstärkt. In welchem Verhältnis aber stehen Skulptur und Hecke hier zueinander? Tritt die Gerüstform an die Stelle der toten Pflanzen, als „falsche Hecke“, wie die Künstlerin es nennt? Deutet das Erscheinungsbild der Skulptur zeichenhaft auf eine mögliche Reparatur, wie das Baugerüst auf eine Baustelle? Oder ist die streng geometrische Kunstform ein Ersatz oder gar eine „geistige“ Überbietung der Naturform? (Man könnte hier an Piet Mondrain denken, für den horizontale und vertikale Linien sowie Weiß als Summe aller Farben als universale formale Prinzipien der Kunst galten). Dient die Skulptur etwa der Bemäntelung, Kaschierung oder Rahmung („Musealisierung“) der beschädigten Parkbepflanzung? Eine andere Assoziation, die Schudy selbst ins Spiel bringt, ist der Gedanke an eine Virtualisierung der Form wie in einer Computersimulation. All diese Deutungsansätze – und manche mehr – sind möglich, aber keiner davon ist zwingend. Wenn man um das Hybrid einer Hecke aus künstlicher und natürlicher Form herumgeht, zeigen sich immerzu neue Aspekte, andere Konstellationen, Überschneidungen und Überkreuzungen der krummen dunklen mit den glatten weißen Linien. Dass Nicola Schudy diesen Widerstreit zwischen zwei so ungleichen Komponenten wirken lässt und ihn nicht vorschnell auflöst, macht den unausdeutbaren Reiz ihrer Skulptur „extension #1“ aus.

– Peter Lodermeyer –

VITA

Nicola Schudy

Geboren 1968

Visuelle Kommunikation, Fachhochschule Düsseldorf

Bildende Kunst, École des Beaux Arts Besançon, (Frankreich)

Seit 2016 statements Köln mit Silke Brösskamp, Ulli Böhmelmann und Hannah Schneider (seit 2021).

Diskussionsplattform von und für Künstler*innen und Fachpublikum, artothek Köln

Stipendien / Förderungen

2022             Leo Breuer Preis, LVR Museum Bonn GKG Bonn

Nominierung Zonta-Art-Award 2022, Köln

Neustart Kultur, Sonderstipendium für bildende Künstler*innen, Kunstfonds Bonn

2021             BBK Stipendium, Neustart Kultur, Digital

2020             Mikro-Stipendium Frauenkulturbüro NRW

KAURI, Entwicklung eines mobilen Resonanzraums, Montag-Stiftung Kunst und Gesellschaft

UIK, Entwurf einer Rauminstallation im archäologischen Archiv im Rathaus Köln

2020 -2025   Atelierförderung der Stadt Köln

2015             Katalogförderung des Landes Rheinland-Pfalz

2013             Artist in Residence, Cité Internationale des Arts, Paris

2012             Arbeitsstipendium des Frauenkulturbüro NRW

2006             Stipendium Schloss Balmoral, Bad Ems

Einzelausstellungen (Auswahl)

2022             Ausstellung Leo Breuer Preis, GKG Bonn

2019             Bits and Pieces, kjubh Köln

2018             Inside Looking out, Kunstverein Buchholz

2017             Mind the Step, Neuer Kunstverein Gießen

Better call the mirror, Städtische Galerie Kaarst (Gemeinschaftsarbeit mit Silke Brösskamp)

2015             Raumaneignung eins, Gesellschaft für Kunst und Gestaltung Bonn

Bling, Kunstverein Bellevuesaal, Wiesbaden (mit Frauke Berg)

Transit, im Rahmen des Projektes Reisen im Kreis, Urbane Künste Ruhr, Dinslaken

2012             weiterweiterweiter, Toshiba House, Besançon

2009             Projektraum weiss, Köln

2006             Notiz zum Parkett, Künstlerhaus Schloss Balmoral, Bad Ems

instant room, Galerie der Stadt Remscheid

Gruppenausstellungen (Auswahl)

2022             easy structure #4, Installation und Soundperformance, blurred edges Festival, Hamburg

2021             easy structure #3, Installation und Soundperformance, Walkmühle Wiesbaden

fireflies, Malkastenpark Düsseldorf

2018             raumfolgen, Schloss Burgau Düren/ Katalog

Unwirklicher Westen, B05 Montabaur/ Katalog

20 Jahre Neuer Kunstverein Gießen

2015             Interieur I. Fremdes in vertrauten Räumen, Museum Schloss Agathenburg, Stade

2014             Paris Paris, Stipendiatenausstellung, Schloss Wermsdorf

2012             Ruine, Ausstellungsprojekt in der Ruine eines ehemaligen Obdachlosenheims

2009             lückenhaft, Ausstellungsparcours auf Parkflächen, Köln

Fully Booked, Gruppenausstellung im leerstehenden Hotel Beethoven vor dem Abriss, Bon