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Fünf Spechte
Sie sind eher zu hören als zu sehen, schon aus einiger Entfernung – vielleicht aber ist auch nichts zu hören, nichts Besonderes, nichts als die üblichen Sonntagsparkklänge, das diskrete Durcheinander von allerlei Natur- und Kulturgeräuschen. Dann aber mischt sich wieder etwas Fremdvertrautes, nicht Verortbares in die akustische Kulisse. Wie Natur klingt es nicht, nicht künstlich, am ehesten erinnert es an seltsame Vogelrufe, an das Klopfen von Spechten, und ähnlich diesem hebt das Tönen unvermittelt an, dauert eine ungewisse Zeit und verstummt plötzlich wieder, pausiert und setzt scheinbar willkürlich erneut ein. Zu hören sind diese Geräuschein unterschiedlichen Färbungen, aus verschiedenen Richtungen des Baumhofes. Sie können sich überlagern, wie Frage und Antwort klingen, wie ein gleichgültiges Nebeneinander, wie Streit, ein Zwiegespräch. Ein Muster, die Ordnung einer Komposition sind nicht auszumachen. Als „laute, intensive, knarzende Geräusche“ charakterisiert sie Ralf Schreiber. Wie viele Stimmen es sind, woher sie genau kommen ist nicht leicht auszumachen, sie müssen gesucht, gefunden werden; das Auge hört mit. Unscheinbar sind die Geräuschquellen, die fünf Lauterzeugungsmaschinen, die über den Köpfen der Lauschenden, Ausschauhaltenden platziert sind, hoch hängen sie in den Ästen der den Baumhof einfassenden Bäume.
Ralf Schreiber greift für seine Klangmaschinen auf die Konstruktion eines alten Musikinstruments mit dem sprechenden Namen Brummtopf oder Waldteufel zurück, elektrifiziert jedoch dieses auf dem Prinzip einer Reibtrommel basierende Instrument. In einer offenen, filigranen Rahmenkonstruktion aus Holz von etwa 60 cm Höhe und Schmalseiten von jeweils 20 cm befindet sich oben ein Motor, unten ist der Rahmen mit einem Trommelfell bespannt; an der Seite sind kleine Solarzellen sowie Steuer- und Ladeelektronik montiert. Bei einer einstellbaren, zuvor über die Solarzelle gewonnenen und von einem Ladekondensator gespeicherten Energiemenge setzt sich der Motor für kurze Zeit in Gang. Die eigentliche Geräuscherzeugung beschreibt der Künstler selbst: „An der Motorachse ist eine gekerbte Holzscheibe fixiert, die mit Kolophonium behandelt ist. Ein Nylonfaden ist mit einer Schlaufe lose um die Kerbe der Holzscheibe gewickelt. Auf der gegenüberliegenden Seite ist der Faden mittig am Trommelfell fixiert. Bei jeder Drehung der Holzscheibe übertragen sich die surrenden Reibgeräusche über den gespannten Nylonfaden auf das Trommelfell.“
So können etwa schnarrendes Schaben oder Reiben, trockenes Klopfen, Hämmern, spitzes Pochen zu hören sein. Kaum einmal gibt es maschinenhaft regelmäßige Folgen von Klangwiederholungen, meist variieren Dichte und Rhythmus der Einzelgeräusche während der Spielphasen. Die Klänge der fünf annähernd baugleichen Klangkörper sind deutlich zu unterscheiden. Ihr jeweiliger Charakter, ihre Färbung und Frequenz ist vom Künstlerin einem längeren Probenprozess – auch als resonanzreiches Quintett – abgestimmt worden. Die Unterschiede ergeben sich durch die Feineinstellung der Elektronik und der Mechanik und durch mögliche Modifikationen des Trommelfells, etwa durch dort platzierte Gewichte oder mitschwingende Objekte. Ist der Klang der Fünf Spechte veränderlich und justierbar – Ralf Schreiber wird im Laufe des Tages einzelne Objekte aus den Ästen nehmen und ihre Klangfarbe variieren, möglicherweise auch einzelne Klangkörper vorübergehend außer Betrieb setzen so ist die Häufigkeit des Erklingens der einzelnen Maschineninstrumente, ihr Zusammenspiel, die Länge der Spielpausen und die Überlagerung der Klänge nicht kalkulierbar, werden diese doch wesentlich von der ortsabhängigen Intensität des Lichts bestimmt; möglicherweise sind die Fünf Spechte nur selten gleichzeitig zu vernehmen. Sonnenstand und Baumschatten, Winde, schließlich auch die eigene Aufmerksamkeit, die genauere Kenntnis der Position der fünf Apparaturen und nicht zuletzt der eigene Standort im Klangraum des Baumhofes beeinflussen das Gesamthörbild. Für das erwartungsvolle Ohr sind zudem in den Spielpausen, den Klangzwischenräumen die Geräusche des Parks, das sonntägliche Hintergrundrauschen deutlicher und klarer, differenzierter vernehmlich als sonst.
Vita
geboren 1964 in Köln
arbeitet in den Bereichen Robotik-, Kinetik-, Klang- und Lichtinstallation, elektronische Musik
Studium an der Kunstakademie Münster (Akademiebrief, Meisterschüler bei Paul Isenrath) Postgraduiertenstudium an der Kunsthochschule für Medien Köln (Diplom audiovisuelle Medien)
Ausstellungen, Konzerte, Workshops (Auswahl)
Transmediale Berlin, Interferenze Neapel, EMAF Osnabrück, Frankfurter Kunstverein, Laboral Spanien, Edith Russ Haus Oldenburg, RaumaBienaleBalticumFinland, Artbots NY, Mudam Luxemburg, Fridericianum Kassel, Centre Pompidou, Taipei Fine Arts Museum Taiwan, Museum Moyland, Kloster Gravenhorst, Skuc Gallery Slovenien, Rachel Haverkamp Köln, Kunsthallen Brandts Dänemark, Galerie Waiden Berlin
Lehraufträge an Kunsthochschulen (Auswahl)
UDK Berlin, Akademie der Künste Berlin, Fachhochschule Design Aachen, Escola Superior de Artes e Design Porto, EcoleSuperieured’ArtCambrai, Bauhaus Uni Weimar, Freie Universität Bozen, HISK (Higher Institute forfineArts) Gent, Design Akademie Eindhoven
Ralf Schreiber arbeitet mit Elektronik, mit Solarzellen, Motoren und Kleinstlautsprechern. Seine spielerischen und experimentellen Arbeiten erzeugen leise Klänge und kleinste Bewegungen und beschäftigen sich dabei mit schwachenergetischen Transformations-Prozessen (der Wandlung von Licht in Bewegung und Klang). Schwerpunkt seiner Arbeiten bildet das Langzeitprojekt „Living Particles“ mit immer neuen Konstellationen kleinster, miteinander kommunizierender und interagierender Mini-Roboter.
www. ralfschreiber.com
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Where birdsong ends & fall begins
Ein Park ist ein akustisch reicher, vielfältiger Raum. Dort wäre eine sich stetig verändernde Klanglandschaft zu vernehmen, eine Mischung aus Naturlauten (gelegentliche und länger anhaltende, solche die Tiere hervorbringen und solche die zu den Elementen gehören), im Hintergrund alle möglichen Stadtgeräusch und die zeitweiligen und währenden, die aus der Benutzung des Parks resultieren: Gejohle und Gejuchzte, Hundebellen, Gesprächsfetzen in diversen Sprachen, Handyklingeln, Tischtennisballklacken und das Zischen der Würste auf dem Grill, Skateboardgerolle … – Stille fast nie. Fortwährend verändert sich in diesem Hörraum etwas, die Jahres- und Tageszeiten haben ihren Sound, wie sich auch die Werk- von den Feiertagen akustisch unterscheiden, jede Witterung ihren eigenen Klang erzeugt.
In diese polyphone Geräuschkulisse mischt sich, für einen Tag und auch nur an einigen Bereichen des Staudengartens wahrnehmbar, etwas, das fast wie Vogelstimmen klingt und doch sind es keine. In einem scheinbar freien, unregelmäßigen Rhythmus wiederholen sich Töne, variiert die Länge dieser Rufe wie auch die Abstände zwischen ihnen. Mal ist nur eine, dann keine und bald wieder einige der tschilpenden Pfeifereien vernehmbar (ein bisschen jungvogelhaft, rührend, akustisches Kindchenschema schwingt mit) – wie viele es sein könnten, ist kaum zu hören, zu sagen. Wer einige Zeit lauscht, wird verschieden hohe Stimmen, individuelle Muster unterscheiden können. Macht man sich auf die Suche nach der Quelle der seltsamen, natürlich und doch (je länger, genauer man hinhört) artifiziell, maschinenhaft klingen Rufe, findet man am Rande des Staudengartens eine schmale, halbverborgene Übergangszone zwischen geordnetem, strukturiertem Gelände und der relativen Wildnis eines kleinen Waldes, ein begehbarer Bereich zwischen Büschen und Bäumen. Hier sind kleine, unauffällige Klangkörper an Ästen und Bäumen befestigt, etwa ein Dutzend verteilt auf einer Strecke von fünfzehn, zwanzig Metern.
Ralf Schreibers Klanginstallation Where birdsong ends & fall begins besteht aus selbst konstruierten Musikmaschinen, die in der Tradition mechanischer Klangspielzeuge stehen. Thunfischdosengroße zylindrische Behälter versehen mit einer zweifarbigen Lackierung in einem unregelmäßigen Zackenmuster und einer kleineren Öffnung, die einen Blick ins Innere der Klangerzeuger gestattet. Die Funktionsweise der dort sichtbaren Mechanik – Ralf Schreiber hat sie aus altertümlichen Spielzeugvögeln ausgebaut – beschreibt der Künstler folgendermaßen: „Ein Motor treibt langsam ein Zahnrad an. Über Einkerbungen auf dem Zahnrad wird ein kleiner Gummibalg bewegt, der eine kleine Pfeife anbläst. Die Abfolge der Einkerbungen regelt den Rhythmus. Die Tiefe der Einkerbungen regelt Lautstärke und auch Tonhöhe (durch leichtes Überblasen). Das Zahnrad braucht für eine Umdrehung ca. 5 Sekunden, entsprechend lang sind die Musikeinheiten, die fortlaufend geloopt werden.“ Diese künstlichen Tonfolgen sind mechanische Entsprechungen für im Park von Ralf Schreiber aufgezeichnete Vogelrufe, die in der grafischen, an ein vereinfachtes Schalldiagramm erinnernden Gestaltung der Dosen eine visuelle Umsetzung erfahren haben.
Die kleinen Motoren der Spielautomaten sind strombetrieben, in den Zweigen hängende Solarzellen liefern die benötigte Energie. Sie wird in ebenfalls in jeder Dose untergebrachten Ladekondensatoren gespeichert. Je nach Sonnenstand, Verschattung und Bewölkung ist die notwendige Energie mal schneller, mal langsamer gewonnen. Ist nach einigen Minuten ein bestimmtes Energieniveau erreicht, setzt sich der Spielmechanismus ist Gang, ertönt die jeder einzelnen Klangdose eigene Tonfolge, wiederholt sich zwei- oder dreimal und verstummt nach zehn bis zwanzig Sekunden wieder. Auch wenn es zeitweilig Wiederholungen und erkennbare Spielmuster geben wird, so bleibt der Gesamtverlauf doch zufällig und ist allenfalls begrenzt steuerbar.
Der Titel Where birdsong ends & fall begins, der einen vergessenen, melancholischen Jazzsongs zitieren könnte, macht aus den kurzen Stücken der Klangmaschinen (die auch wie ein einziges, stundenlanges Werk gehört werden könnten) einen Abgesang auf den Sommer, fällt die Eintagesaufführung doch zusammen mit dem Herbstanfang, dem sicheren Ende der Vogelgesangssaison. Gerade die immer wieder nach wenigen Sekunden abbrechenden oder verebbenden Klangstücke, die gegen Abend wegen der geringeren Sonneneinstrahlung wohl auch immer seltener zu hören sein werden, vergegenwärtigen dieses die akustische Atmosphäre des Parks im Jahreszeitenübergang prägende Verstummen.
Das alles (und manches mehr) wäre zu vernehmen und ist doch leicht überhört. Belohnt wird, wer hinhört, sich Zeit lässt.
Jens Peter Koerver