BILDERGALERIE

Grünfläche

Hinter dem amtlich klingenden Begriff der „Grünfläche“, den Claudia Schmacke zum sinnlicher begründeten Titel ihres Kunstwerks macht, verbergen sich bekanntlich kommunale Rasenstreifen, Blumenbeete und ganze Parkanlagen von unterschiedlicher Prächtigkeit und Größe. Viele dieser begrünten Zonen dienen allein der Dekoration urbaner Betriebsamkeit, andere hingegen sind bewusst als städtische Naherholungsgebiete geschaffen worden, auf deren Wiesen auch Sport getrieben werden darf, während ihre durchgestalteten Gärten mehr der naturästhetischen Geruhsamkeit gewidmet sind und als pflegeintensive Augenweiden die Schonung ihrer Rasenflächen gebieten. Vier solcher separierten Gartenräume, die dem Besucher rechte Wege weisen, reihen sich im Kölner Vorgebirgspark wie eine gewachsene Zimmerflucht aneinander. Eines dieser vegetabilen Separees wird der „Baumhof“ genannt. In seinem Innenbereich erstreckt sich ein Rasenrechteck, das von einem Karree hoher Laubbäume umstanden und von weitläufigen Kiesflächen umsäumt ist. Mittig wird das rechteckige Grasland von einem breiten Weg zerteilt, der in die benachbarten Gartenräume hineinfluchtet. Gewissermaßen minimalinvasiv hat die Berliner Künstlerin die gartengestalterische und weg¬führende Raumordnung des „Baumhofs“ durch eine ästhetisch irritierende und daher Gedanken anregende Zugabe korrigiert – für einen Sommersonntag lang.

Dem Parkbesucher wird nämlich in Gestalt einer wundersamen ‚Anpflanzung‘ seltsamer vegetabiler Objekte der gewohnte Spazierweg versperrt, oder mäßigender gesagt: visuell und physisch entzogen. Ein Entzug zeitigt bekanntlich Fragen nach dem Warum! – Die direkte Passage muss wohl über Nacht zugewachsen sein? Zahlreiche, grün schimmernde Invasoren machen jetzt den Weg unkenntlich und vereinen sich ästhetisch mit den flankierenden Rasenbereichen zu einer einzigen „Grünfläche“. Die plastischen Wegelagerer nötigen den Spaziergänger, der einem gehegten Parkrasen noch Respekt zollt, zu einem raumgreifenden Umschreiten des surrealen Phänomens. ‚Notgedrungen‘ wird der grüne Binnenraum des „Baumhofs“ zu einem dreidimensionalen und begehbaren „Bild“, das im Schatten der grün umrahmenden Bäume um- und beschriften sowie im Wandel der räumlichen Perspektiven, persönlichen Ansichten und natürlichen Lichtverhältnisse aspektreich aus der Distanz erlebt werden kann.
Verständlich ist aber auch des Überraschten Neugier, die ihn näher nachzusehen zwingt (aber möglichst nicht taktil), was sich ihm an sonderbaren Gewächsen in den Weg stellt – und ihn womöglich mit Bedauern zwingt,

einen individuellen, kollektiven oder einfach investigativen Pfad über den grünen Rasen zu suchen. Hier erhält er die auf Materialien und Gestaltungsweisen bezogene Auskunft: Claudia Schmacke hat den axial verlaufenden Parkweg auf einer Fläche von rund achtzig Quadratmetern förmlich mit Farbbeuteln gepflastert – ähnlich denen, die uns aus Kindertagen als neckische „Wasserbomben“ ein Begriff sind. Tüten aus umweltverträglichem Polyäthylen füllte sie halbvoll mit grün gefärbtem Wasser und verschloss jede mit einem einfachen Knoten, so dass sich unter diesem – dank unserer Assoziationskraft – eine pralle Knolle bzw. Zwiebel runden mag, darüber der geraffte und weißlich verdichtete Oberteil des transparenten Plastikbeutels wie eine halb geöffnete Blüte aufragt. Das Wasser wurde vor dem Einfüllen mit einem milden Badezusatz für Kinder eingefärbt und signalisiert auch in dieser hautfreundlichen Materialwahl den schonenden Umgang mit der Natur, die im „Baumhof“ vom Kammerton Grün eingestimmt ist. Leicht entsteht also auf den ersten, noch distanzierten Blick der Eindruck, hier sei die Natur durch etwas Natürliches ergänzt worden, das sich stofflich aber rasch als unnatürlich, also als artifiziell herausstellt. Mit dieser lokalästhetischen Irritation wird zugleich das aktuelle Problem unseres globalen Umgangs mit der Natur und dem Künstlichen kritisch angesprochen, aber nicht weniger des Menschen verantwortungsvolles Bestreben, im kultivierenden und sogar im künstle¬rischen Sinne mit der Natur zu korrespondieren.

Imitationen sind stets auch Versuche zu verstehen, zu erkennen, was sie nicht sein und nicht ersetzen können. Die gesamte Kunst zehrt bekanntlich von der Einbildung und der Illusion, weil sie die Formen und Materialien beleben, und zwar im Kopf ihres Betrachters. Ein ruhiger Blick über das lange Beet mit den gallertartigen ‚Beutelpflanzen‘ suggeriert diesem daher nicht nur Surreales im gestalterischen Dialog mit dem realen Gartenambiente, nein, es bietet sogar dem nüchternen Parkfreund, der stets nur sieht, was es zu sehen gibt, ein ästhetisches Erlebnis der atmosphärischen Wechsel und mannigfaltigen Lichtbrechungen im künstlichen Grün des umhäuteten Wassers, der taufrischen Reflexionen, der kristallinen Phänomene und der gleichsam von innen heraus natürlich fluoreszierenden plastischen Strukturen. Vielleicht wird der Parkfreund die grünen Wasserbeutel vermissen, wenn er morgen wieder seinen gewohnten Weg gehen kann – seltsam ungestört!

Gerhard Kolberg

VITA

Vita

 1963————–geboren in Witten

1983-1989——–Studium an der Gesamthochschule Kassel, der UdK, Berlin und der Gerrit Rietveld-Academie, Amsterdam

1989-1992——–Kunstakademie Düsseldorf

1991—————Meisterschülerin, Kunstakademie Düsseldorf

1991—————lebt in Berlin

Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl)

2000—————„Trajectories“ Smack Mellon, New York

———————„Still living“ Smart Project Space, Amsterdam

2001—————„BrückenMusik VII“, Deutzer Brücke, Köln

———————„12 Views“, The Drawing Center, New York

2002—————„Looking in“, Lower Manhattan Cultural Council, New York

2003—————„A River Half Empty“, The Aldrich Contemporary Art Museum, Ridgefield, USA

2004—————„Die Werft“, Galerie Münsterland, Emsdetten

———————-„First International Lodz Biennale. The critics choice“, Lodz, Polen

2005—————„Overtures – am wasser“, Gasteig, München

2006—————„Westfälische Kulturarbeit“, Westfälisches Landesmuseum, Münster

2007—————„Rolli contemporanei“, Palazzo Marini di Croce, Genua, Italien

Einzelausstellungen (Auswahl)

1999—————Art in the Box/Goethe-Institut, New York

———————Chinati Foundation, Marfa, Texas, USA

2000—————Artothek, Köln

2001—————Kunstverein, Recklinghausen 2003

———————Plane Space, New York

———————Goethe-Institut, Salvador-Bahia, Brasilien

———————Museu di Arte Sacra, Galeria Fidanza, Belem,Brasilien

2005————–Galerie Aube, Kyoto, Japan

———————Orangerie/Schloss, Rheda-Wiedenbrück

———————Nassauischer Kunstverein, Wiesbaden

2007————–Galleria Rebecca Container, Genua, Italien

Stipendien/Auszeichnungen (Auswahl)

1997—————Förderpreis, GWK, Münster

1999—————Chinati Foundation, Marfa, Texas, USA

———————Stipendium des MSWKS, NRW

2001————–Art Omi, Ghent, NY, USA

———————International Studio and Curatorial Program, New York

2002————–Smack Mellon Studios, Brooklyn, New York

———————Preisträgerin „Vordemberge-Stipendium“ der Stadt Köln

2003————–Stipendium des Ministerium für Städtebau, Wohnen, Kultur und Sport für USA Projekt

2004————–Stipendium der Kunststiftung NRW für Aufenthalt in der Villa Triunfo, Rio di Janeiro

2005————–International Research Center for Contemporary Art, Kyoto University, Kyoto

2006————–DaimlerChrysler-Stipendium, Casa di Goethe, Rom

Adresse

Lausitzer Straße 31, HH

10999 Berlin