Jens Reicherts Turm ist eine Skulptur, die einen Turm darstellt. Isoliert steht die gut fünf Meter hohe Arbeit auf einer Wiese, ragt markant aus der grünen Fläche heraus, bildet das Zentrum dieses Areals, behauptet sich gegen die umgebenden Bäume und tritt in eine diskrete Korrespondenz zu den stellenweise sichtbaren Gebäuden der Nachbarschaft, meist nüchternen Wohn- und Zweckbauten, die die unklare Bestimmung der Turmskulptur noch deutlicher werden lassen. Hermetisch wirkt der zugangslose, allerdings mit zahlreichen Öffnungen versehene, dachlose Rundturm aus der Ferne. Das leicht glänzende, gebrochene Weiß unterstreicht den Eindruck von Festigkeit und Monumentalität, der sich aus der Nähe verliert. Aus lackierter Pappe, haltbar für allenfalls einige Tage, besteht das für ein Gebäude zu kleine, für ein Architekturmodell entschieden zu große Gebilde.
Einfach ist die Konstruktion der Plastik, sie kann am Werk unmittelbar nachvollzogen werden. Allein aus Wellpappe und Klebstoff gefertigt, schließlich noch mit einer schützenden elfenbeinfarbenen Lackierung versehen, verfolgt diese Arbeit eine für das ganze plastische Oeuvre Reicherts grundlegende, einfache Frage: Wie ist es möglich, aus Flächen – nichts anderes sind die Wellpappeplatten, die der Künstler hier wie auch für viele andere seiner Arbeiten verwendet -Volumen entstehen zu lassen? Wie können flache, einfache Materialien durch die Anwendung konstruktiver, teilweise der Natur, Pflanzen abgeschauter Prinzipien in stabile plastische Körper transformiert werden? Für den auf der Wiese des Staudengartens platzierten Turm kommt noch ein zweiter Aspekt hinzu, nämlich der Wunsch, eine sich von unten nach oben entfaltende, empor strebende Plastik zu realisieren; seit Brancusis Endloser Säule immer wieder Thema der zeitgenössischen Skulptur. Turm besteht aus einfachen Hohlzylindern, die wie ein ausgefahrenes Teleskop – oder ein Schachtelhalm – ineinander stecken, sich also im Durchmesser immer weiter verkleinern, so dass sich das Bauwerk nach oben verjüngt, dort allerdings stumpf und unverschlossen endet.