BILDGALERIE

DAS BEICHTSTUHLPROJEKT

Keine Farbe ist so sehr mit Naturvorstellungen assoziiert wie Grün. Das Gras, die Bäume, Büsche und sonstige Pflanzen im Kölner Vorgebirgspark mögen im September schon nicht mehr ihre ganze sommerliche Frische aufweisen, doch noch immer signalisieren sie als Farbimpulse den Freizeit- und Erholungswert dieses Parks als Teil des Kölner Inneren Grüngürtels.

Der Grünton, den der Besucher als ersten Eindruck von Sabine Fernkorns Beitrag zur „Vorgebirgspark Skulptur 2016“ wahrnimmt, steht jedoch in eigentümlicher Dissonanz zu den Grüntönen ringsum. Wenn man sich von den anderen Sondergärten her dem Staudengarten nähert, fällt vor allem der leicht ins Bläuliche spielende, fremd und künstlich wirkende Farbwert eines Objekts auf, das sich mitten auf der Rasenfläche erhebt. Man muss schon nah herangehen, um das Material zu identifizieren, das diese eigentümliche Färbung aufweist. Es handelt sich um Hartschaumplatten aus Polystyrol, besser bekannt unter dem Handelsnamen Styrodur. Üblicherweise werden solche Platten als Dämmmaterial im Hausbau verwendet, doch Sabine Fernkorn benutzt sie hier als Rohstoff für ein sehr eigenwilliges Bauwerk. Dass die flachen Styrodurplatten kein ideales Baumaterial sind, ist kaum zu übersehen. Von einem verborgenen Stützgerüst aus dünnen hohlen Aluminiumstäben, die in die Platten hineingetrieben sind, wird das Objekt zusammengehalten, dennoch wirkt es, durchaus gewollt, fragil und improvisiert – eine leichte, transportable, prinzipiell mobile „Hütte“.

Geht man um den etwa 2,20 Meter hohen und 1,80 Meter breiten Kunststoffquader herum, zeigt sich eine Überraschung. Auf der vermeintlichen Rückseite zeigt sich ein Zugang ins Innere, der durch einen purpurfarbenen Baumwollvorhang verhüllt ist. Der Vorhangstoff setzt einen auffällig feierlichen Akzent, der stark mit der Banalität des grünen Kunststoffs kontrastiert.

Purpur und Grün bilden – zumindest in der Goetheschen „Farbenlehre“ – einen Komplementärkontrast. Purpur ist für Goethe die höchste aller Farben, weshalb er es im Farbkreis ganz oben anordnet. Sein unmittelbar benachbarter Farbwert Violett (auch dunkles Purpur genannt) ist in der Symbolik der katholischen Kirche die Farbe der Buße, der Besinnung und der Einkehr. Das ist für Sabine Fernkorns Arbeit mit dem Titel „Das Beichtstuhlprojekt“ durchaus von Bedeutung. Allein schon am Farbkontrast zwischen Hüttenkonstruktion und Vorhang lässt sich erahnen, dass Sabine Fernkorn keine Bildhauerin, sondern Malerin ist und auf Farbe und

Farbbeziehungen besonderen Wert legt. Ganz bewusst hat sie Styrodurplatten aus verschiedenen Chargen ausgewählt, weil diese leicht unterschiedliche Farbnuancen aufweisen. Wer die Hütte betritt, wird in dem kargen Innenraum einen Stuhl und einen aus zwei Tischböcken und einer Holzplatte bestehenden Tisch vorfinden. Die Möbel stammen aus dem Atelier der Malerin und tragen Farbspuren, die auf jahrelange Benutzung hindeuten. Einen direkten Bezug zur Malerei stellen auch einige außen und innen an die Wände geklebte Stoffstreifen her. Es handelt sich dabei um „Pflaster“, die Fernkorn aus einem ihrer „Lichtspuren-Bilder“ geschnitten hat, um mit ihnen Beschädigungen in den Styrodurplatten, die beim Hineintreiben der Aluminiumstreben entstanden sind, zu „verarzten“. Deutlicher kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass die Malerei eine wohltuende und heilsame Wirkung haben kann.

Man kann das „Beichtstuhlprojekt“ gewiss unter einem rein visuellen oder formalen Aspekt betrachten. Seine volle Wirkung aber entfaltet es nur, wenn man sich bewusst macht, dass es sich um so etwas wie eine Erfahrungsskulptur oder partizipatorische Installation handelt. Die Parkbesucher sind nämlich dazu eingeladen, einzeln in die Hütte einzutreten und auf dem bereitgestellten Stuhl Platz zu nehmen. Auf dem Tisch wird man eine kurze Handlungsanweisung finden, die einen dazu ermuntert, auf einem der bereitliegenden Zettel eine Begebenheit, Handlung oder Unterlassung zu notieren, die man bereut oder bedauert, die man „beichten“ möchte, oder aber einen Vorsatz zu formulieren, an den man sich zukünftig halten will. Wenn man wieder nach draußen tritt, wird man ein eisernes Feuerbecken vorfinden, in dem dieser Zettel in einer Art von rituellem Akt verbrannt wird. Als Dank für ihre Mitwirkung übergibt die Künstlerin allen Besuchern ihres „Beichtstuhls“ einen anderen Zettel, auf dem sie einen von ihr formulierten Satz notiert hat. Nach etwa fünf Jahren gedanklicher Beschäftigung mit dieser Thematik hat Sabine Fernkorn im Vorgebirgspark erstmals einen Prototyp für ihr „Beichtstuhlprojekt“ realisiert. Dabei ist ihr wichtig, dass alle Bestandteile ihrer Konstruktion (mit Ausnahme des Styrodurplatten) bereits Lebens- und Benutzungsspuren aufweisen. Kunst und Leben sollen hier eng verflochten sein. Die Erfahrung, die sie den Besuchern mit ihrem Projekt ermöglicht, ist einerseits eine ästhetische, zugleich aber auch eine emotionale und psychologische, die im Idealfall weit über den Tag der Kunstaktion hinaus wirken kann.

Peter Lodermeyer

VITA

1961            geboren in Münster/ Westfalen

     1988       lebt und arbeitet in Bonn

1983-90      Studium der Malerei an der Kunstakademie Münster

1988            Meisterschülerin bei Prof. Ludmilla von Arseniew

1989            Erstes Staatsexamen (Kunst/ katholische Theologie)

1991            Akademiebrief

2000-05    Atelierstipendium der Stadt Bonn und des Bonner Kunstvereins

2001            Trägerin des 11. Hans-Thuar-Preises, Bonn

Einzelpublikationen

Sabine Fernkorn, lichtstille. Stadtmuseum Beckum (Hrsg.), 2013. Verlag Kettler, Bönen.

Sabine Fernkorn, Lichtspuren. Galerie Nero, Wiesbaden (Hrsg.), 2009. Cornerhouse Publications.

Einzelausstellungen (Auswahl)

2015            Ein Standort (…), Tapetenfabrik Bonn (E, mit Petra Siering)

2014-15     GelbLicht, schueller interior .objekt, Bonn

2013            Neue Arbeiten. Raum für Kunst und Natur, Bonn

2013            lichtstille, Stadtmuseum Beckum (K)

2011            Malerei Zeichnung. Produzentengalerie Leidig-Bürger, Gummersbach

2010            Favourites. Bilder aus 15 Jahren. Stiftung Mercator, Essen

2009            Lichtspuren, Galerie Nero, Wiesbaden (K)

2003            Malerei. Kurfürstliches Gärtnerhaus, Bonn

2002            Malerei. Galerie Contemporanea, Oberbillig/ Trier

2001            Hans-Thuar-Preis 2001. KunstMuseum Bonn (Preisträgerin)

1999            Malerei – Arbeiten in Öl auf Papier. Galerie Forum Lindenthal, Köln

1998 sowie 1995 und 1994: Bilder. Galerie Laik, Koblenz

1995            Malerei. Förderkreis zeitgenössischer Kunst, Euskirchen

Gruppenausstellungen (Auswahl)

2016            Vorgebirgspark Skulptur 2016 (mit P. Behrendsen, G. Geister, E. Papadopoulos, T. Vinson)

2013            In aller Freundschaft (…), ArtDialog e.V., Künstlerforum Bonn (G, K)

2013            Austragungsort II, Verein für aktuelle Kunst/ Ruhrgebiet e.V. (G, K)

2012            Forum 2012. Museum Burg Vischering, Lüdinghausen (G)

2012            Jahresgaben. Förderverein aktuelle Kunst, Münster (G)

2012            MALEREI. Verein für aktuelle Kunst/ Ruhrgebiet e.V., Oberhausen

2010            Miraculum lucis. Kunstverein Langenfeld (G)

2008            Accrochage. Galerie Forum Lindenthal, Köln (G)

2012            Rhythmus. Künstlerverein Walkmühle, Wiesbaden (G)

2012            dazwischen. Kunstverein Germersheim (G)

2005            Maigang. Atelierhaus des Bonner Kunstvereins (G)

2012            Lighthouse. Benefizauktion Bonner Preisträger, KunstMuseum Bonn (G)

2004            Kunstsommer. Kunstverein Oberhausen und Galerie P. Tedden, OB-Dümpten (G)

2001            Kunst für Kaliningrad-Königsberg. Museum Ostdeutsche Galerie, Regensburg und Staatliche Kunstgalerie Kaliningrad (G, Kat.)

2000            st’art 2000. Foire d’art contemporain. Strasbourg /F (G, Galerie Jean Marc Laik)

2012            Arche. Kunstverein Bad Salzdetfurth, Schlosshof Bodenburg (G, Kat.)

1999            EMPRISE Art Award `99, (Nominierung). NRW-Forum Kultur u. Wirtschaft, Düsseldorf (G)

1994            Huntenkunst ‘94, Houtkamphal, Doetinchem / Niederlande (G)

1992            Große Kunstausstellung NRW, Kunstpalast, Düsseldorf (G, Kat.)

www.sabinefernkorn.de