BILDGALERIE

"262"

Das Wasserbecken im Rosengarten stellt zweifellos das Zentrum des Vorgebirgsparks Köln dar – nicht im geometrischen Sinne, aber gewiss emotional und vom Raumgefühl her. Das über 30 Meter lange rechteckige Becken, das von einem mit breiten Steinplatten belegten Mäuerchen eingefasst wird, ist daher alljährlich ein prominenter Ausstellungsort der Vorgebirgspark Skulptur. Die Wassertiefe des Beckens beträgt um die 40 Zentimeter, mehr oder weniger, je nachdem wie trocken oder regnerisch es in den letzten Tage und Wochen gewesen ist. Ein solcher Wasserstand stellt für Parkbesucher, die sich nicht zurückhalten können und unbedingt zur Erfrischung ins Becken steigen wollen, keine Gefahr dar – Kleinkinder ausgenommen –, zum Schwimmen reicht er ohnehin nicht aus. Rettungs- oder Schwimmreifen sind hier also völlig unangebracht – ein gutes Argument mehr für den in Gießen und Paris lebenden Künstler Thomas Vinson, aus rein ästhetischen Gründen 262 handelsübliche Plastik-Schwimmreifen für Kinder im Wasserbecken zu platzieren. (Die Zahl 262 hat sich in der Planungsphase des Projekts aus gewissen Berechnungen, Rechenfehlern und Korrekturen ergeben und besitzt keine tiefere Symbolik.

Schon aus einiger Entfernung sieht man die hellroten  Reifen aus dem Becken hervorleuchten. Rot ist optimal für diese Installation, keine andere Farbe würde sich so deutlich vom dunklen Beckengrund abheben. Zugleich bildet Rot einen kräftigen Komplementärkontrast zu den Grüntönen der Bäume und Rasenflächen rundum. Erst von Nahem stellt man fest, dass die Schwimmreifen gar nicht durchgängig rot gefärbt, sondern auf den Unterseiten, die auf der Wasserfläche aufsitzen, weiß sind. Bei Sonnenschein wird das Weiß von dem leuchtenden Rot der Oberseiten so überstrahlt, dass man es nur aus bestimmten Blickwinkeln wahrnimmt. Die kräftige Farbigkeit der Reifen entspricht genau dem kindlichen, optimistischen Charakter, den man von solchen Schwimmringen erwartet, sie signalisiert Sommer, Urlaub und Badespaß. An der Nahtstelle zwischen der roten Ober- und der weißen Unterseite der Reifen bildet der rote Kunststoff jeweils einen überstehenden gefältelten Saum aus, eine Art Faltenröckchen – ein charmantes Detail, auch wenn es sich dabei vermutlich nur um die in der Produktion kostengünstigste Variante der Materialverarbeitung handelt.

Die Kombination von Rot und Weiß entspricht übrigens auch der Farbigkeit der Blüten der Teichrosen, die im Wasserbecken angepflanzt sind – nur dass diese Blüten überwiegend weiß sind und lediglich am Ansatz der Blütenblätter einen zarten hellroten bzw. rosa Farbverlauf aufweisen.

Formal korrespondieren die Reifen sehr schön mit den ungefähr kreisförmigen, auf der Wasseroberfläche ausgebreiteten Blättern. Die in industrieller Massenproduktion in China gefertigten Plastikobjekte und die Naturform der Wasserpflanzen bilden eine erstaunlich harmonische Kombination. Thomas Vinson ist ein Künstler, der immer wieder vorgefundene Formen und Materialien in seine Arbeiten integriert. Der amerikanische Minimalismus der 1960er- und 70er-Jahre gehört formal zu den Kunststilen, an die er bewusst anknüpft. Die Verwendung industriell (vor)gefertigter Materialien und die serielle Reihung immergleicher Formen sind typische Kennzeichen der Minimal Art. Das Aussetzen von 262 Plastik-Schwimmreifen in einem Wasserbecken, ohne daran irgendwelche formenden Eingriffe vorzunehmen, kann man ohne Weiteres als minimalistische Intervention bezeichnen. Doch gibt es einen wesentlichen Unterschied zum klassischen Minimalismus: die Dynamik, die sich in dem offenen System aus Reifen, Wasser, Wind und dem Publikum ergibt. Die Reifen bedecken nur einen Teil der Wasseroberfläche und haben folglich viel Bewegungsspielraum. Je nach Windstärke und -richtung bewegen sie sich aufeinander zu oder voneinander weg. Das Eingreifen von Parkbesuchern, die vom Beckenrand her die Ringe zurück in die Beckenmitte schubsen möchten, lässt Vinson ausdrücklich zu. Berühren ist nicht verboten.

Der renommierte französische Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman hat in seinem Buch „Was wir sehen blickt uns an“ gezeigt, dass selbst die scheinbar reinen Formen der Minimal Art verborgene oder verschobene Spuren eines Anthropomorphismus aufweisen. Vinsons Installation im Wasserbecken des Vorgebirgsparks scheint diese Beobachtung zu bestätigen. Mit Anthropomorphismus ist hier nicht die Tatsache gemeint, dass ein Schwimmreifen von seiner Funktion her auf den menschlichen Körper hin konzipiert ist und ihn somit unvermeidlich in Erinnerung ruft. Bedeutsamer ist hier, auf einer ganz abstrakten Ebene, das dynamische Geschehen selbst. Manche Reifen schwimmen vereinzelt, als Individuen über den Teich, dann schließen sie sich zu Paaren oder Kleingruppen zusammen. Der Wind treibt die Ringe zu einer großen Gruppe, einer „Masse“ zusammen, die sich aber auch wieder auflösen und vereinzeln kann. Unversehens entdeckt man in den Bewegungen der Schwimmringe Modelle menschlichen Verhaltens. Zuletzt, gegen Ende der Ausstellung, wird Thomas Vinson die Reifen an Kinder verschenken. Dann gehen sie auch ganz real aus dem künstlerischen in einen sozialen Kontext über.

– Peter Lodermeyer –

VITA

Thomas Vinson

1970                geboren in Paris

seit 2013         Dozent für Bildhauerei an der Justus-Liebig Universität, Gießen

seit 2014         Dozent für Plastisches Gestalten im Fachbereich Architektur an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM), Gießen

1997-1999       Studium der Bildhauerei, Prof.George Smith, Rice University, Houston, USA

1994                Juristisches Staatsexamen, Universität Panthéon-Sorbonne, Paris, Frankreich

Stipendium

2009                Espace de l’Art Concret, Mouans-Sartoux, Donation Albers – Honegger, Frankreich

Einzelausstellungen (Auswahl)

2017                fine-line, Galerie Wenger, Zürich, Schweiz In Line, Galerie Spielvogel, München

2016                MODESTO, AVAM, Matadero, Madrid, Spanien

                2016PROGRESS, Giesserei Blöcher, Biedenkopf

                2016ASISTEMATICA, Theredoom, Madrid, Spanien

2015                Relief mit Karin Radoy Galerie Spielvogel, München

2014                over and over, Galerie Kim Behm, Frankfurt

2013                mullion, Moltkerei Werkstatt, Köln

                2016new order, Galerie Wenger, Zürich, Schweiz

2012                OLYMPICINSTALLATION, Hotel Olympic, München

2011                structures, Fabrikculture, Hégenheim, Frankreich

2010                Farbforschung exemplarisch: Siegfried Rösch, Universitätsbibliothek Giessen

                2016nice – tension / , Le Dojo, Nice, Frankreich

2009                on line, Espace de l’Art Concret, Mouans-Sartoux, Frankreich

2008                Installation for Winterthur, Kunstkasten, Winterthur, Schweiz

Gruppenausstellungen

2016                Drawing Now Paris, Galerie Wenger, Zürich, Schweiz

                201647. Art Basel, Atelier Editions Fanal

                2016“abstraction as an ageless approach” Galerie Ruth Leuchter, Düsseldorf

2015                Entre les lignes, Galerie Wagner, Le Touquet, Frankreich

                2016Papier / Paper V Zeichnung, Galerie Gisela Clement, Bonn

                2016Drawing Now Paris, Galerie Wenger, Zürich, Schweiz

                201646.Art Basel, Atelier Editions Fanal

2014                Drawing Now Paris, Galerie Wenger, Zürich

                201645. Art Basel Atelier Editions Fanal

                2016À corps perdu, mit Marina Abramovic, Roni Horn, Véronique Joumard, Jürgen Klauke,

                2016Aurélie Nemours, Roman Opalka, Georges Tony Stoll, Su-Mei Tse und Marthe Wéry

                2016Espace de l’Art Concret, Mouans-Sartoux, Frankreich

2013                Kunst Zürich, Galerie Wenger, Zürich, Schweiz

                201644. Art Basel, Atelier Editions Fanal

2012                Kunst Zürich, Galerie Wenger, Zürich, Schweiz

                201643. Art Basel, Atelier Editions Fanal

                2016Drawing Now, Carrousel du Louvre, Paris, Galerie Olschewski & Behm

2011                Incidents maîtrisés, Espace de l’Art Concret, Mouans-Sartoux, Frankreich

                201642. Art Basel, Atelier Editions Fanal

2010                 41. Art Basel, Atelier Editions Fanal

2009                Vértice, Galeria Millan, Sao Paulo, Brasilien

                2016Indisciplines, Festival d’Art Contemporain dans la ville, Nice, Frankreich

www.thomas-vinson.com